Friedhof Untertürkheim - Ruhestätte von Widerstandskämpfern
UZ 2.4.2015 - UNTERTüRKHEIM: Einer von drei Stuttgarter
Baumgrab-Standorten - Gründer der Untertürkheimer Zeitung liegt hier
begraben

Die Friedhofskapelle in Untertürkheim ist von Albert Pantle entworfen und im Jahr 1907 gebaut worden. Dabei sind historische Stilelemente und auch neoromantische Teile gestaltet worden. Foto: Enslin
Der Untertürkheimer Friedhof stammt aus den Jahren
1902 bis 1904 und ist nach der Eingemeindung Untertürkheims zu Stuttgart
am 31. Dezember 1905 eröffnet worden. Nicht nur das weiß der ehemalige
Leiter des Garten-, Friedhofs- und Forstamts, Werner Koch, zu berichten.
Auch hier ruhen einige Widerstandskämpfer aus der Zeit des
Nationalsozialismus.
Der Friedhof erschließt sich von drei Seiten,
von der Gehrenwald-, der Gögelbach- und der Württemberg- straße. Wer von
oben den Weg Richtung Kapelle sucht, trifft schon bald auf den ersten
Prominenten: Karl Münchinger (1915 bis 1990). Er war Chor- und
Orchesterleiter, wie Koch in seinem Buch Stuttgarter Friedhofsführer
schreibt. Nach seinem Studium der Orchesterleitung an der
Musikhochschule Stuttgart hat er von 1941 bis 1943 das Niedersächsische
Symphonieorchester Hannover dirigiert. Nach der Rückkehr aus der
Kriegsgefangenschaft hat er 1945 das „Stuttgarter Kammerorchester“
gegründet, bei dem er bei Auftritten im In- und Ausland große Erfolge
feierte und welches er bis 1987 leitete. 1966 gründete er die Klassische
Philharmonie Stuttgart, die ebenfalls weltweit erfolgreich war und als
erstes deutsches Ensemble 1977 in China auftrat.
Ein stückweit tiefer sind die Baumgräber zu
finden. Neben Untertürkheim gibt es solche Bestattungsmöglichkeiten noch
auf dem Walfriedhof und in Weilimdorf. In Untertürkheim wurde die
Möglichkeit für 40 Grabstätten im Juli 2014 eingeführt. „40 Prozent der
Gräber sind bereits belegt“, hat Koch in Erfahrung gebracht. Pro Baum
sind 16 Urnen möglich. Unter einer Linde ruht auch der Stuttgarter
Literaturpreisträger Christoph Lippelt, der Ende Dezember gestorben ist.
Beim Blick auf die Friedhofskapelle kann Koch
auf den Architekten verweisen: Albert Pantle, der das sakrale Bauwerk
von „wunderschöner Architektur“, so Koch, im Jahr 1907 gebaut hat. Es
sind hier historische und neoromantische Stilelemente verwendet worden.
Wichtig ist auch das Grab einer Gruppe von
Widerstandskämpfern um Friedrich Schlotterbeck oberhalb der Kapelle. Der
Schriftsteller war Kommunist und wurde 1933 festgenommen und 1943 aus
dem Konzentrationslager Welzheim entlassen. Er arbeitete in Luginsland
und Untertürkheim aktiv gegen das Nazi-Regime. Im Jahr 1944 wollte er
Else Himmelheber heiraten, doch die Gruppe wurde an die Gestapo verraten
und versuchte in die Schweiz zu fliehen. Schlotterbeck gelang die
Flucht. Auf dem Friedhof in Untertürkheim liegt Hermann Schlotterbeck
(1919-45), der beim Fluchtversuch in die Schweiz in Dachau erschossen
wurde. - (Herman Schlotterbeck wurde nach erfolglosem Fluchtversuch in Stuttgart im Oktober 44 gefasst und im KZ Welzheim ohne Prozess festgehalten. Bei der Evakuierung des KZ Welzheim in Richtung Oberschwaben, wurde Hermann Schlotterbeck am 19.4.1945 in Riedlingen erschossen.) - Er liegt hier samt Freundeskreis. Dieses Grab zählt zu den
erhaltenswerten Grabstätten. 900 dieser Grabstätten zählt die Stadt, so
Koch. Die Gräber können nicht vergeben werden und müssen auch sauber
gehalten werden.
Auf dem Untertürkheimer Friedhof liegt zudem der
Ehrenbürger und Schultheiß Eduard Fiechtner. Auch der Bürgerverein hat
an seinem Grab eine Tafel anbringen lassen. Fiechtner war 26 Jahre
Schultheiß in Untertürkheim und hat dort die Weingärtnergenossenschaft
Untertürkheim gegründet und war 32 Jahre lang deren
Vorstandsvorsitzender. Ihm verdanken die Wengerter auch die
Keltergebäude in der Strümpfelbacher Straße. Ebenfalls eine Hinweistafel
des Bürgervereins findet sich am Grab von Kunstmaler und Illustrator
Carl Schmauk (1868-1946).
Auf dem Untertürkheimer Friedhof liegt auch
Julius Schauwecker. Er war der erste Herausgeber und Gründer der
Untertürkheimer Zeitung und wurde nur 50 Jahre alt. Er lebte von 4.
Februar 1860 bis 5. September 1910. Schauwecker ist in Reutlingen
geboren, war dort Redakteur und Verleger und brachte am 11. November
1888 den ersten Reutlinger Generalanzeiger heraus. Später wechselte er
nach Untertürkheim und brachte dort am 12. Juni 1899 den ersten
General-Anzeiger, die heutige Untertürkheimer Zeitung heraus.
Zu den ältesten Grabstätten zählt das der
Familie Jakob Scheihing (1823 bis 1908) von 1908, Bäckermeister Gottlieb
Ellsässer (1848 bis 1906) von 1907 und von Karl Glaser (1887 bis 1905),
Privatier Karl Molt (1849 bis 1907).
In der
Landeshauptstadt gibt es 42 städtische Friedhöfe auf einer Gesamtfläche
von 206 Hektar mit rund 157 000 Grabstätten. Friedhöfe sind nicht nur
Orte der Trauer und Bestattung. Sie werden beispielsweise durch ihre
großen Baum- und Grünflächenbestände oft auch als Erholungsräume
genutzt. Zudem sind es wichtige Erinnerungsstätten, die von Kultur,
Geschichte und Menschen erzählen, die die Welt bewegt haben. In unserer
Serie stellen wir ausgewählte Orte vor.
Ein kunstreich gestaltetes Grab von
Wilhelm Zaiss auf dem Friedhof Untertürkheim
Information
Der Friedhof Untertürkheim befindet sich in der
Gehrenwaldstraße 40 und umfasst insgesamt 4,2 Hektar mit rund 4000
Grabstätten. Er wurde 1905 eröffnet. Sein Vorgänger war der Alte
Friedhof zwischen Wendelin-, Wallmer- und Großglocknerstraße. Er wurde
belegt von 1574 bis 1947 und aus „gesundheitspolizeilichen Gründen“ im
Jahr 1905 für Beerdigungen geschlossen. Der Alte Friedhof Untertürkheim
ist heute eine Grünanlage mit Kinderspielplatz. |