Buenos Aires - Inmitten von San Telmo, wenige Blocks von der Plaza
Dorrego entfernt, steht an der Ecke der Straßen Humberto 1º und
Tacuarí ein Haus, das nicht so recht in die Umgebung passt. Mit seiner
Fachwerk-Imitations-Fassade hebt es sich von der Umgebung ab. Ein
Schild über der Eingangstür identifiziert es als „Bierhaus“. Drinnen
steht ein unscheinbarer, dünner Mann, der mit einem freundlichen Lächeln
die wenigen Gäste empfängt. „Manchmal kommen Leute herein
und wollen gegrilltes Fleisch oder Pizza. Dann muss ich sie zur nächsten
Ecke schicken“, sagt er. Bei Gustavo Englert gibt es nämlich nur
deutsche Speisen - Gerichte, von denen wohl die wenigsten Argentinier
jemals gehört haben, und die noch weniger bereit wären zu probieren.
Das wusste der Besitzer natürlich, aber er hat sich mit seiner deutschen
„Cervecería“ einen Traum erfüllt. „Als ich klein war, haben meine
Eltern nur Deutsch gesprochen, wenn sie nicht wollten, dass ich sie
verstehe“, erzählt Englert. Seine Kenntnisse der deutschen Sprache sind
also sehr begrenzt, und er war noch nie in einem deutschsprachigen
Land. Er ist aber fasziniert vom Herkunftsland seiner Urgroßeltern, die
vor gut achtzig Jahren
nach Argentinien
kamen. Er zeigt
unaufgefordert und
mit etwas Stolz seinen
Stammbaum
und Fotos seines Urgroßvaters,
der aus
der Nähe von Stuttgart
stammte. Auch
eine Sammlung von
bunten Kärtchen,
die Anfang des letzten
Jahrhunderts in
Packungen von Hustenbonbons
und
ähnlichem zu finden
waren, lässt er seine
Gäste gerne bewundern.
„Untertürkheim“ Humberto 1º 899,
San Telmo, Buenos Aires.
Englert hat seine
Hommage an das Land seiner Vorfahren, das Bierhaus,
nach deren Heimatort benannt:
„Untertürkheim“.
Das Restaurant, das eigentlich
hauptsächlich eine Kneipe
sein soll, wird mit Begeisterung
und Liebe zum Detail geführt.
Gustavo Englert macht fast alles
allein - unter der Woche hilft ihm
ein Angestellter, am Wochenende
seine Frau. Die Speisekarten
sind bilingual, mit dem Deutsch
hat Englerts Vater geholfen. Ob
man es verstehen könne, will
Englert wissen. Kann man. Die
Dekoration ist liebevoll arrangiert,
die Wände wirken aber
trotzdem noch ein wenig kahl.
Das Untertürkheim gibt es erst
seit letztem Dezember, der Einrichtungsprozess
ist noch nicht
ganz abgeschlossen. An Bierflaschen
fehlt es indes nicht. Über der Theke stehen in einer Reihe ungefähr
zwei Dutzend Flaschen, die mal deutsches Bier enthielten.
Weißbier aus Deutschland steht auch auf der Karte, man muss es
sich aber leisten können. Auch bevor man „Picadas“ - Häppchen-Platten,
bestehend aus Wurst, Würstchen, Käse, Sauerkraut und Kartoffelsalat
- bestellt, sollte man sich vergewissern, dass weder das Portemonnaie
noch der Bauch zu leer ist. Während die Bratwurst von der Entfernung
zwischen Europa und Südamerika zeugt, erinnern Leberwurst,
Salami und Käse an das deutsche Abendbrot. Das Sauerkraut ist sehr
gut zubereitet, auch Kasseler und Senf sind zu empfehlen.
Gustavo Englert hat sich mit seinem
deutschen Bierhaus einen Traum erfüllt.
Der Juli war der bisher beste Monat im neunmonatigen Bestehen
des Untertürkheim. Viele Gäste kämen nicht nur einmal, sagt Gustavo
Englert, während im Fernseher auf der Theke die Deutsche Welle läuft.
Langsam wird das Untertürkheim bekannter. Kein Wunder, unterscheidet
es sich doch deutlich von den vorherrschenden Pizzerias und Parrilla-
Restaurants in San Telmo.