Aus "Treffpunk Stuttgart" vom 17.4.2002 und Fortsetzung vom 24.4.2002
Vortrag von Dietrich Köhler zur Neueröffnung der Heimatgesch. Ausstellung Rotenberg

Untertürkheims letzter Schultheiß Eduard Fiechtner (Teil 2/4)


Eduard Fiechtner
ehemaliger Schultheiß in Untertürkheim

Die neu aufgekommene Energie des elektrischen Stroms sollte nun durch ein Elektrizitätswerk an einem beweglichen Stauwehr genutzt werden. Und schließlich brauchten die Weingärtner eine größere Kelter, eine Genossenschaft dazu - und die Feuerwehr eine ausreichende Stätte für ihre Gerätschaften ... Ja, man könnte noch fortfahren!
Fiechtner erwies sich als ein Mann praktischer Visionen. Und bei der Verwirklichung zog eines das andere fast logisch nach sich. Natürlich gab es allerlei Widerstände zu überwinden, sowohl im Gemeinderat wie in der Bevölkerung. Wir kennen ja die konstante Frage: "Brauchet mir dees?" Und die Feststellung: "s'isch doch bisher au ohne dees ganga."

Denn Neuerungen fordern der Bürgerschaft ja manches an Geld und Grundstückopfern ab. Interessant, wie es damals schon in einem Bericht heißt: "So haben Militär (Exerzierplatzanlage), Eisenbahn, Industrie und der Häuserbau das fruchtbare Neckartal allmählich aufgefressen"(!). Fiechtner scheint kein autoritärer Chef gewesen zu sein, sondern argumentierend, nicht abgehoben, sondern bürgernah. Er wollte überzeugen und so Zustimmungen erwirken. Ich kenne nur ein Photo von ihm (gibt's noch andere?). Da sieht man das Gesicht mit Schnauzbart, um den Hals den weißen Stehkragen mit umgebundener schwarzer Fliege. Das könnte auf einen stolzen Herrn deuten. Doch ist dies ja das "Outfit" des ehrbaren Bürgers damaliger Tage, sonst nichts — und die Augen schauen durchaus gütig drein - und etwas knitz. (Wobei man bei allen solchen Bemerkungen ja sehr vorsichtig sein muss!).

In den ersten Jahren mit dem neuen Schultes wurde im Rathaus vor allem erwogen, beraten, geplant und beschlossen. Es dauerte, bis die Dinge ins Rollen kamen. Fiechtner musste oft große Geduld aufbringen, nicht nur im Gemeinderat oder bei der Bürgerschaft, sondern auch Behörden und Firmenbauern gegenüber. Beim Anspruch auf Grundstücke für Gewerbezwecke musste er sicher öfter den Satz hören: "Ausg'rechnet dees Ländle, des isch grad dr beschte Boda, den i han" und ähnliches. Immerhin, Industrie und mit ihr Arbeitsplätze kamen: 1887 zog die Straus'sche Bettfedernfabrik nach Untertürkheim. 1888 erweiterte die Beitingersche Trikotfabrik ihre Produktion und arbeitete unter dem Namen "Behr & Vollmöller" in Untertürkheim: 80 neue Arbeitsplätze! 1896 eröffnet die Gipsfabrik ihr Werk. 1898 beginnt Eszet (mit dem angenehmen Schokoladenduft umher!). Weiter die Konservenfabrik Rob. Bubeck - und andere. Es entsteht das Fabrikviertel zwischen Güterbahnhof und Neckar, dazu Wohnungen.

1879 ist Eduard Fiechtner, in seinem 36. Jahr, in Untertürkheim zugezogen. Die Familie wohnte zunächst im Haus des Weingärtners und Gemeindepflegers Wilhelm Warth in der Rotestr. 48 (heute: Silvrettastraße). Es waren enge Verhältnisse, denn 8 Kinder brachten die Fiechtners mit, 6 wurden in Untertürkheim geboren, 11 von den 14 Kindern sind dann groß geworden. Am 14. Kind starb die Mutter Luise, geb. Metzger. Eine bittere Situation für die Großfamilie. Allerdings gab es damals hilfreiche Zugriffe. Und 2 Jahre später fand Herr Fiechtner in Thekla verw. Dietz geb. Wintter eine zweite Gattin. Sie brachte Vermögen mit. Nun konnte man bauen, nachbarlich zu Warths, Ecke Karl- und Cannstatter Straße (Hindelanger/Augsburger Str.). Es ist das heutige Haus Beißwanger.

Vom umtriebigen Schulteshaus wäre manches zu erzählen, aber das gehört jetzt nicht zum Bericht. Der durchaus häusliche Eduard Fiechtner wurde eben nicht von seiner Familie "aufgezehrt", sondern seine ganze Kraft und Intelligenz galt dem Flecken. "Weitsichtig, kraftvoll im Handeln, folgerichtig und uneigennützig", so beschreibt ihn Pfarrer Lechler. Übrigens war Fiechtner kraft Amtes auch Kirchengemeinderat. Ein offenbar gutes, vertrauensvolles Zusammenwirken von Rathaus und Schule. Und welche Probleme standen nun an? Das neue Heimatbuch listet sie auf: die Eisenbahn musste fürs Dorf nutzbar gemacht werden, die Industrie brauchte Bauplätze, Wohnungen waren zu erstellen, Straßen zu erweitern und neu anzulegen, Wasserleitungen waren vonnöten, ferner Schulen und Weiterbildungsmöglichkeiten für junge Menschen. Ganz wichtig: die in regelmäßigen Abständen das Tal verwüstenden Überschwemmungen des Neckars waren wegzukriegen, also: Kanalisation des Flusses.