Matthäus Enzlin, einst geschätzter Jurist, endete unter dem Richtschwert. Foto: Archiv
So etwas kommt in den besten Familien vor. Und Matthäus Enzlin war ein altwirtembergisches Honoratiorenbüble wie aus dem Bilderbuch: Sein Vater, der Kirchenratsdirektor Johann Enzlin (um 1530-1601) hatte Maria (1528-1591), die Tochter vom „Luther Schwabens", von Melanchthons Freund Matthäus Alber (1495-1570), geheiratet, und die hatte am 16. Mai 1556 in Stuttgart den intelligenten Delinquenten zur Welt gebracht. Und, kein Wunder bei dem Hirn und der Verwandtschaft, mit 21 Jahren hat der in Tübingen schon seinen „Doktor beider Rechte" in der Tasche. Und gerade frisch Professor geworden, heiratet er im Jahr 1581 die Tochter Sabina seines Hochschullehrers Nikolaus Varnbüler (1519-1604), und der 1590 bei seiner Flucht von Hohenurach ums Leben gekommene Dichter Nicodemus Frischlin verfasst zur Feier des Tages ein langes lateinisches Hochzeitsgedicht. Sieben Kinder werden dieser Ehe geschenkt, von ihnen stammt heute schier gar fast halb Württemberg ab, und die berühmteste Nachfahrin im Mannesstamm ist sicherlich die vormals so blitzgescheite, später aber leider so strohdumm gewordene Studentin Gudrun Ensslin, zuletzt wohnhaft in Stammheim, seit Herbst 1977 in Degerloch, Dornhaldenfriedhof, dank Manfred Rommel seligen Angedenkens.
Der Herr Dr. iur. utr. Matthäus Enzlin verdient sein erstes Geld am Reichskammergericht in Speyer. Dann holt der pfälzische Landesvater Ludwig VI. den gerade einmal 25 Jahre alten Schwaben als Professor an seine altehrwürdige Heidelberger Universität. Nach dem Tod seines kurfürstlichen Gönners kommt er 1585 wieder heim und kriegt jetzt einen Lehrstuhl in Tübingen, und bald darauf ist er schon der Rektor der jungehrwürdigen Universität.
Seinerzeit regiert in Württemberg der hochgelehrte, gutmütige, aber halt so arg versoffene Herzog Ludwig mit seinem Spezel Melchior Jäger, alias „Herzog Melchior". Drunten in Montbéliard aber hockt schon der Graf Friedrich in den Startlöchern und scharrt mit den Hufen, und wie anno 1593 sein Stuttgarter Neffe dem Suff erlegen war, kommt der Mömpelgarder als Herzog Friedrich I. ans Regiment und verjagt den Jäger und macht seinen Freund Enzlin zum „Geheimen Rat" und regiert mit ihm des Herzogtum für fast fünfzehn Jahre. In jenen goldenen Zeiten des langen Friedens und großen Wohlstands vor dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg.
Und der „versierte, ehrgeizige Jurist" schafft es anno 1599 mit Hilfe seines Hirns und von 400 000 Gulden, dass das Haus Habsburg die „österreichische Afterlehenschaft" über Württemberg vom Jahr 1534 aufhebt. Sonst hätten wir nämlich Österreicher werden müssen, wenn unser Herzogshaus je einmal ausgestorben (worden) wäre. Und er sorgt dafür, dass das Ländle wächst, und sie kaufen den von Schulden geplagten Badenern ihr Sach ab, am Neckar das Besigheim und Mundelsheim, im Schwarzwald das Altensteig und Liebenzell. Und holen sich die Pfandschaft über das Straßburger Amt Oberkirch im Renchtal und planen eine Landbrücke von Altwirtemberg über die elsässischen Besitzungen um Reichenweiher bis in die Burgundische Pforte nach Montbeliard und errichten mit dem „schwäbischen Leonardo" Heinrich Schickhardt Freudenstadt als neue Hauptstadt des künftigen „Großherzog-thums Wirtemberg-Mömpelgard".
Jetzt dürfen hierzulande aber seit dem berühmten „Tübinger Vertrag" - dem „Landesgrundgesetz von 1514" - die Landstände ganz schön mitreden und mitbestimmen. Und das passt dem „frühabsolutistischen Renaissancefürsten Friedrich" natürlich überhaupt nicht, und der „Herzogsknecht" und „Landschaftsfeind" Enzlin muss nun gegen seine eigene Verwandtschaft, die „Ehrbarkeit", kämpfen und soll des „alte, gute Recht" wieder abschaffen. Und der raffinierte Rechtsverdreher liefert seinem Herzog untertänigst „die juristische Verbrämung zur Zertrümmerung der verfassungsrechtlichen Basis der Stände".
Zum Glück aber stirbt der Friedrich vorher „überraschend", und sein Sohn und Nachfolger, der Herzog Johann Friedrich, der schirrt und schafft jetzt wieder mit den : Landständen zusammen. Und der verhasste und habgierige Enzlin („der nebenbei sein Vermögen verfünffacht hatte") wird eingesperrt und „wg. Unterschlagung, Amtsmißbrauchs, Diebstahls und Erpressung" vor Gericht gestellt. Und nur sein Schuldbekenntnis und seine „kniefällig geleistete Urfehde" ersparen ihm den Galgen, und er kriegt lebenslänglich auf dem Hohenneuffen, später zur Haftverschärfung wird er auf die Burg Hohenurach verlegt.
Weil er aber von seiner Zelle aus intrigiert hat und konspiriert und immer wieder mit Hilfe seiner Kinder und Verwandten zu fliehen versucht und auch mit dem Verrat von Staatsgeheimnissen droht, hat ihn das Tübinger Hofgericht in einem erneuten Prozess „wg. Hochverrats" zum Tode verurteilt. Und am 22. November 1613 ist er auf dem Marktplatz von Urach durch den Scharfrichter um seinen gescheiten Kopf kürzer gemacht worden. Und das hatte eine solche nachhaltig abschreckende Wirkung, dass nachmals so mancher höhere Funktionsträger unseres Landes so schlau war und vorsichtshalber dumm geblieben ist.