Vom Korsett zum Büstenhalter
Cannstatter Zeitung 29.2.2012- BAD CANNSTATT: Ausstellung im Stadtmuseum „Prima Donna - zur wechselvollen Geschichte einer Cannstatter Korsettfabrik“ eröffnet
Durch geniale Vermarktung wurde der Hautana-Büstenhalter zum Begriff. Weltweit
wurden Anzeigen geschaltet. So warben diese Revuegirls 1929 für das Produkt.
Wer genau den Büstenhalter erfunden hat, lässt sich nicht mehr genau sagen. Der Hautana des Cannstatter Unternehmens Lindauer war jedoch der erste seriell gefertigte Büstenhalter. Der Korsetthersteller brachte bereits ab 1890 die Marke „Prima Donna“ auf den Wäschemarkt, die es noch heute gibt. Im Stadtmuseum Bad Cannstatt wurde gestern Abend die Ausstellung „Prima Donna - zur wechselvollen Geschichte einer Cannstatter Korsettfabrik“ eröffnet, die noch bis 8. Juli zu sehen ist.
Von Edgar Rehberger„Das ist keine BH-Ausstellung“ stellt Dr. Manfred Schmid vom Planungsstab Stadtmuseum, gleich klar. „Der Büstenhalter wurde auch nicht in Bad Cannstatt erfunden.“ Dies hatten Schmid und Historiker Olaf Schulze, die die Ausstellung zusammengestellt haben, bei ihren Recherchen festgestellt. Mehrere Personen kommen dafür in Frage. Am 5. September 1889 ließ Christine Hardt aus Dresden ein „Frauenleibchen als Brustträger“ patentieren, verstellbar aus zusammengeknüpften Taschentüchern und Männerhosenträgern, im gleichen Jahr wie Herminie Cadolle, Schneiderin in Paris. Sie teilte das Korsett in zwei Teile, präsentierte dies auf der Weltausstellung 1889 und meldete einen Büstenhalter zum Patent an, der Körbchen mit Tiefe hatte und die Brüste stützte. Bereits 1891 hatte der böhmische Industrielle Hugo Schindler ein Patent für einen „Brusthalter“ angemeldet. Mary Phelbs Jacob aus New York meldete 1914 in den USA ihren Büstenhalter aus zwei seidenen Taschentüchern und rosa Bändern zum Patent an. Fakt ist, dass Stuttgart und Cannstatt seit Mitte des 19. Jahrhunderts Heimat der führenden Korsetthersteller in Deutschland waren. Von den 10 bis 15 Firmen waren die meisten in jüdischem Besitz. So wie die 1865 gegründete Fabrik S. Lindauer & Co mit Stammsitz in der Hallstraße. „Sie wurde zur wichtigsten und bedeutendsten Firma für weibliche Unterwäsche“, so Schmid. Exportiert wurde in alle Welt.
Näherinnen in der Korsettfabrik Lindauer im Jahr 1912. Das Unternehmen galt
als einer der bedeutendsten Hersteller von Korsetts.
Der Sohn von Salomon Lindauer, Sigmund, brachte das Unternehmen durch Exporte groß heraus. Sein Bruder Julius gründete in Paris eine Korsettfabrik, Bruder Max bereiste Australien. „Der Ruf des Unternehmens wurde durch ‚Prima Donna‘ begründet.“ Ein seit 1890 gesetzlich geschütztes Warenzeichen. Hergestellt wurde mittel- und hochpreisige Ware, vertrieben über „geniales Marketing“. Dadurch wurde der Büstenhalter „Hautana“, der erste industriell gefertigte BH, weltweit bekannt. „Er verzichtete auf Stützen und war angenehmer zu tragen“, so Schulze. Das Ende des einschnürenden Korsetts war eine Befreiung für die Frau. Hautana habe sich in den Köpfen eingeprägt. „Büstenhalter und Hautana waren ein Begriff wie heute Taschentuch und Tempo.“ Produziert wurde zunächst in Böblingen, erst später in Cannstatt. Es kamen weitere Produkte wie Badekleidung dazu. Um die jüdische Firma nach der Machtübernahme der Nazis vor der Zwangsenteignung zu retten, wurde sie auf den Schwiegersohn Wilhelm Meyer-Ilschen überschrieben. Seine Frau Marie Meyer-Ilschen, einziges Kind von Sigmund Lindauer, führte die Firma nach dem Zweiten Weltkrieg, ab 1946 zusammen mit ihrer Tochter Rosmarie Usener als „Prima Donna“ weiter. Usener trat 1949 als Teilhaberin ein und übernahm die alleinige Geschäftsführung. Nach 40 Jahren sehr erfolgreicher Tätigkeit wurde die Firma mitsamt den Markenrechten am 1. Januar 1990 an den belgischen Dessous- Hersteller Van de Velde in Schellebellein in der Provinz Ostflandern verkauft.In der Ausstellung sind dank der Nachfahren des letzten Geschäftsführers und Zufallskontakten Exponate zu sehen, die noch nie gezeigt wurden. „Das sind Glücksfälle für uns“, freut sich Schmid.
Die Ausstellung „Prima Donna - zur wechselvollen Geschichte einer Cannstatter Korsettfabrik“ ist bis 8. Juli 2012 im Stadtmuseum, Marktstraße 71A, zu sehen. Mittwochs von 14 bis 16 Uhr, samstags von 10 bis 13 Uhr und sonntags von 12 bis 18 Uhr.