Vor 100 Jahren fuhren die ersten Straßenbahnen
Untertürkheimer Zeitung 22.12.2010
Hedelfingen/Wangen:
Die gelben SSB-Wagen verbanden die Vororte mit der Innenstadt – ein Segen für Marktleute
Hedelfingen hatte vor 100 Jahren Gründe, Weihnachten vorzufeiern. Am 21. Dezember 1910 rollte die erste Straßenbahn in den Ort. Am 22. Dezember 1910 wurde der Linienbetrieb aufgenommen. Straßenbahnen verbanden die Neckarvororte mit der Innenstadt. Auch Wangen und Untertürkheim bekamen 1910 den Straßenbahnanschluss – zur Freude der Marktleute.
Von Mathias Kuhn
Stuttgart ohne die Stadtbahnen ist für heutige Einwohner undenkbar. In die oberen Neckarvororte kamen die Fahrzeuge der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) allerdings erst vor 100 Jahren an. „Es war eine wichtige Forderung in den Eingemeindungsverträgen von Wangen und Untertürkheim“, sagen die Ortshistoriker Martin Dolde und Eberhard Hahn. Wobei die Untertürkheimer einen Vorteil hatten. Sie hatten einen Eisenbahnanschluss.
Auf ihrer Seite des Neckars fuhren Züge in die Innenstadt. Die Wangener – vor allem die Landwirte, die ihre Feldfrüchte auf dem Wochenmarkt verkaufenwollten – mussten ihre Erzeugnisse über den Wangener Berg in die Innenstadt karren. gleiches galt für die Hedelfinger. Deswegen verwundert es nicht, dass die Vororte auf eine linksufrige Straßenbahn setzten.
Anzeige von 1914
Hoffnung keimte auf, als ein Berliner Ingenieur eine Konzession für eine Dampfbahnlinie vom Königsbau nach Wangen beantragte. Ihm wurde jedoch nicht stattgegeben. Die Wangener und Hedelfinger mussten sich noch 22 Jahre gedulden. in den Eingemeindungsverhandlungen war die Verlängerung der bestehenden Straßenbahnlinie, die bereits zum Ostendplatz führte, bis nach Wangen eine zentrale Forderung.
Mit einem großen Fest wurde am 4. November 1910
die erste Straßenbahn in Wangen begrüßt. Foto: SSB-Archiv
Sie sollte sich fünf Jahre nach der Eingemeindung erfüllen: Am 4. November 1910 begrüßten die Wangener den ersten, festlich geschmückten Wagen der Linie 16. Offizieller Start der neuen Linie, die von Feuerbach über Rosenstraße, Schlossplatz, Charlottenplatz und Bergfriedhof nach Wangen führte, war am 5. November. Der Begrüßungsspruch auf einem Schild am Gasthaus Löwen: „Was lange währt, währt nicht ewig.“
Heute vor hundert Jahren nahm die Straßenbahnlinie 16 am Hedelfinger Rathaus ihren Betrieb auf.
Foto: Förderverein Altes Haus
Das gilt auch für die Hedelfinger. Sieben Wochen später hatten auch sie gleich doppelten Grund zur Freude. Am 21. Dezember 1910 weihten sie ihr neu gebautes Rathaus – das heutige Bezirksrathaus – ein. Zur Feier des Tages fuhr der erste „16er“ um die Ecke durch die Menschenmenge und hielt vor dem neuen Rathaus. Den eigentlichen Betrieb nahm die bis nach Hedelfingen verlängerte Linie laut Ortschroniken heute vor 100 Jahren auf – in der Chronik der SSB wird der 27. Dezember genannt.
Am 26. November 1910 vor hundert Jahren weisen die historischen Bücher der Stuttgarter Straßenbahnen dagegen eine dritte Premiere auf. Die Line 15 fuhr seit diesem Novembertag von Zuffenhausen über den Wangener Marktplatz bis zur Lindenschule in Untertürkheim.
„Wangen erhielt also innerhalb von wenigen Wochen zwei Straßenbahnlinien. eine Linie führte nach Hedelfingen, die andere nach Untertürkheim weiter, wobei der 16er beispielsweise 1913 und 1914 über den Schlachthof und nicht über den Ostendplatz fuhr“, erklärt SSB-Sprecherin Birte Schaper.
Das Lindenschulviertel habe damals fast als eigenständiger Stadtteil Untertürkheims gegolten, sagt Ortschronist Eberhard Hahn. Der Ortskern war 1910 durch den wilden Neckar, der auf Höhe des heutigen Bruckwiesenwegs floss, getrennt. Eine Brücke führte über den Fluss. Hahns Vater fragte seinen Sohn deswegen oft, ob er „über die Brück‘ gehe“, wenn Eberhard Hahn ins Lindenschulzentrum lief.
Neuer Streckenverlauf ab Dezember 1926 über neue Neckarbrücke am Inselbad vorbei zum Bahnhof Untertürkheim
Nach der Verlegung des Neckars und dem Bau der Inselbrücke verkehrten die Straßenbahnen bis zur Wunderstraße.
Zuvor endeten sie im Lindenschulviertel. Foto: Bürgerverein Untertürkheim
Von Juni 1914 an verkehrte auch noch die Linie 19 von Untertürkheim nach Hedelfingen. Sie diente in erster Linie den Daimler-Mitarbeitern, war aber auch die Vorstufe einer Verbindung, die viele Bürgerinnen und Bürger sich heute noch wünschen: Denn am 25. April 1919 fuhr der 19er erstmals über die alte Hedelfinger Neckarbrücke nach Obertürkheim und von dort nach Oberesslingen. Die „richtige“ Ortsanbindung Untertürkheims erfolgte nach der Neckarverlegung. Die Straßenbahnlinien 25 und 19 überquerten auf der neuen Stahlbetonbrücke den Neckar und hielten an der Wunderstraße – vor dem Bahnhof. Laut SSB verkehrte der 25er erstmals am 29. Dezember 1926. In der Wangener Chronik schreibt Dolde über die Eröffnung der neuen Brücke am 1. Dezember 1923 und zeigt Streckenverläufe der Linien 25 und 19, die bereits 1924 über die Inselbrücke fuhren.
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