Es ist unmöglich, sich von diesem Mann ein rechtes Bild zu machen. Denn es existiert von ihm kein einziges Bild, kein Stich, keine Zeichnung, kein Portrait, kein Selbstportrait, nichts, gar nichts. äußerst ungewöhnlich für eine Zeit, in der die höfische Baukunst in so hoher Blüte stand, vor allem in Italien. Alle ließen sich abbilden, immer wieder. Nur er nicht. Auch Stuttgarts führende Baumeister jener Epoche sind im Bild erhalten - Giovanni Salucci aus Florenz fehlt.
Zugegeben, sein Kollege und Konkurrent Nikolaus von Thouret wurde gleichfalls nicht portraitiert: Wohl auf eigenen Wunsch, denn der malte sich selbst ziemlich geschönt, weil er offenbar dem männlichen Schönheitsideal der Zeit nicht entsprach, um es vorsichtig auszudrücken .
Es liegt aber auch an Saluccis merkwürdig verworrenem Lebensweg, geprägt von hoher Begabung und lähmender Glücklosigkeit, von übertriebenem Ehrgeiz und rastloser Unruhe, von übersteigertem Künstlerstolz und entsetzlicher Reizbarkeit. In der Heimat blieb ihm die ersehnte Anerkennung versagt, in der Fremde, zumal in Stuttgart, wurde sie ihm zuteil.
Doch er wollte stets höher hinaus, als es möglich war - um so schmerzlicher die Niederlagen, die er hinnehmen musste bis zuletzt. Andere waren begabter als er, weitaus gerissener oder eben diplomatischer, auch in Stuttgart. Häufig scheiterte er an den Launen seiner adeligen Auftraggeber. Dieses Schicksal teilten andere, aber Giovanni Salucci litt besonders darunter.
Erst nach seinem Tode wurde seinem Werk quasi die höhere Gerechtigkeit zuteil, ausgerechnet in Stuttgart:
Die Grabkapelle auf dem Württemberg,
das Schloss Rosenstein,
das Wilhelmspalais und auch
die Grabkapelle Benckendorff auf dem Heslacher Friedhof
haben die Wirren der Zeit überdauert. Von den übrigen "Stararchitekten" jener Jahre ist weniger geblieben. Eines jedenfalls lässt sich ablesen aus Plänen, Lebensdaten und Berichten: Salucci war ein schwieriger Mensch, der hoch hinaus wollte, stets auf der Suche nach dem Erfolg - sich selbst immer wieder im Wege stehend. Oder war alles doch ganz anders?
Der Versuch, diese Figur der Baugeschichte aus heutiger Sicht umfassend zu würdigen, steht noch aus.
Immerhin hat in diesem Frühjahr die vielbeachtete Ausstellung im Wilhelmspalais neue Anregungen gegeben.
Mit Napoleon bei Waterloo
Giovanni Salucci wurde am 1. Juli 1769 in reichem Florentiner Elternhaus geboren. Am 18. Juli 1845, also vor 150 Jahren, starb er in seiner Heimatstadt - verarmt und vergessen.
Dazwischen liegt ein nur schwer fassbarer Lebenslauf:
Schon mit 14 Jahren beginnt er das Studium der Architektur an der
Akademie der schönen Künste seiner Vaterstadt Florenz.
1792/93 verlässt er Florenz, weil es keine Aufträge für
ihn gibt.
In Bassano, später in Padua bekommt er Arbeit, feiert erste Achtungserfolge.
1797 der erste Bruch: Salucci verkehrt in politischen Zirkeln, die
dem Geist der französischen Revolution anhängen, wird bespitzelt,
nach Florenz beordert - doch er flieht.
Im November 1798 verurteilt man ihn wegen Angriffs auf die Staatsgewalt in Abwesenheit zum Tode.
Der nächste Bruch: Salucci geht in die französische Italienarmee, macht bis 1801 alle Feldzüge mit, stellt sich gegen seine Heimat. Als der Frieden geschlossen wird, geht er als Ingenieurgeograph in das von Napoleon geschaffene Topografische Büro
der Armee.
1802 zieht er nach Mailand, tritt in den Dienst der Italienischen
Republik, entwirft militärisc he Bauten. Eine zehnjährige
Odyssee durch Italien beginnt, vieles davon bleibt im dunkeln.
1812 steht Giovanni Salucci plötzlich wieder in französischen
Diensten, macht den Russlandfeldzug mit und findet sich in Danzig
wieder.
1815 ist er bei Waterloo dabei und gerät in englische Gefangenschaft.
1816 wendet er sich nach Genf - erneut ein schicksalhafter Schritt.
Dort lernt er den reichen Bankier Eynard kennen, plant mit an dessem
spektakulärem Stadtpalais. Dieser Jean Gabriel Eynard ist es, der Wilhelm I. von Württemberg persönlich
kennt und ihm empfiehlt, den begabten Giovanni Salucci in seine
Dienste zu nehmen.
Anfang August 1817 kommt der mittlerweile schon 48 Jahre alte, studierte
Architekt und gelernte Soldat nach Stuttgart. Hier beginnt die erste,
einigermaßen stetige Epoche seines Lebens.
Bis 1839 bleibt er der Hofbaumeister des württembergischen Königshauses.
Gleich zu Beginn stürzt er sich in die Arbeit: Auf seinem Reißbrett entstehen Stadttore, Kasernen, ein Hospital, eine Orangerie, ein Theater, ein Pavillon in Weil bei Eßlingen, dazu ein Sommerschloss, das spätere
Landhaus Rosenstein. Und vieles andere mehr.
Salucci,
der Baukunst des Klassizismus verpflichtet, begeistert die populäre Königin Katharina, eine
Tochter des Zaren von Rußland. Er macht groß Karriere, ist auf dem besten Wege, in Württemberg
die Nummer eins zu werden.
Doch am 9. Januar 1819 stirbt die vielgeliebte Königin - ein schwerer Schlag für König Wilhelm, eine Katastrophe für Salucci: Nun beginnen die Intrigen, der Baumeister gerät
in eine tiefe Lebenskrise.
1822 ist er finanziell ruiniert, der König muss für ihn
geradestehen. Ein Strafprozess wird gerade noch abgewendet.
Dann geht es wieder ein wenig bergauf: 1824 ist die wunderschöne Grabkapelle für Katharina auf dem "Hausberg" der Württemberger fertig, der Bau von Schloss Rosenstein nach Saluccis Plänen
beginnt.
Doch der Streit geht weiter: Man misstraut ihm in finanziellen Dingen,
stellt ihm einen Aufpasser zur Seite, der ihn nach Kräften schikaniert.
1828 eskaliert der Zank: Salucci kündigt überstürzt - Tage später muss er um Wiederanstellung bitten. Aber die wird nur auf Probe ge
währt. Man will ihn zur Ordnung zwingen.
Lob für Schloss Rosenstein
1829 ist Schloss Rosenstein fertig, ein gelungener
Bau, der viel Anerkennung findet. Bestärkt entwirft er einen
Theaterbau, doch das Projekt bleibt liegen wie so vieles, was sich
bis heute auf dem Papier in den Archiven des Landes erhalten hat.
1831 klagt Salucci über Mangel an Beschäftigung, müht sich um private Aufträge,
wobei nicht allzuviel herausspringt. 1832 bekommt er das Kreuz der
Ehrenlegion.
1834 beginnt der Bau "seines" Wilhelmspalais.
Doch die Konkurrenz wird immer stärker. Längst haben Baumeister wie Thouret und Zahnt den schwierigen Florentiner überrundet.
Salucci ist nun schon 65 Jahre.
1837/38 kann er sich noch einmal durchsetzen mit seinen Plänen für das Königliche Reithaus an der Neckarstraße. Dann muss er aus privaten Gründen
reisen: nach Florenz, Antwerpen und Paris.
Schwierige Erbschaftsdinge zwingen ihn dazu, setzen ihm zu. Wieder
ist es das Geld, das ihm das Dasein verleidet. Sein Leben nimmt eine
tragische Wende: Auf Schloss Rosenstein macht sich der Hausschwamm
breit, weil der Italiener die Bauphysik außer acht gelassen
hat.
Am 17. September 1839 wird er vom Dienst suspendiert, später
in Pension geschickt.
1840 kehrt er resigniert und ruiniert, von Stuttgart tief enttäuscht, nach Florenz zurück. Der Erbschaftsstreit hat sein Vermögen aufgezehrt, sein Ruf ist zwiespältig.
Was er noch entwirft, wird nicht mehr verwirklicht. Von Giovanni
Salucci will niemand mehr etwas wissen. Am 18. Juli 1845 stirbt er
mittellos in einem Krankenhaus seiner Heimatstadt. Im Kreuzgang des
Klosters San Marco liegt er begraben. Eine letzte Ehre seiner Freunde.
Kein Zweifel, dieser begabte italienische Baumeister war eine tragische Figur. Durch eigenes Versagen blieb ihm vieles verwehrt. Für seine politischen Träume wurde er hart bestraft, begann erst spät als Architekt zu arbeiten. Vielleicht zu spät. Seine Pläne, die jüngst im Wilhelmspalais zu sehen waren, zeugen von sicherer Hand und souveräner Beherrschung der Aufgaben. Doch Rastlosigkeit und Unzufriedenheit brachten ihn um Ansehen und soziale Sicherheit.
Eine Familie, die ihm hätte beistehen können, besaß er offenbar nicht. Womöglich war er cholerisch, ungerecht gegen sich und andere. So eindeutig lässt sich das nicht sagen.
Immerhin, 150 Jahre nach seinem Tod hat dieser Giovanni Salucci seinen festen Platz in der württembergischen Baugeschichte. Das Interesse an seinem künstlerischen Nachlass ist beträchtlich.
Hunderte haben im Mai und Juni die Gedächtnisausstellung
im Wilhelmspalais besucht. Schade, dass die nicht verlängert
werden konnte. 800 Exemplare des fundierten Kataloges fanden
ihre Abnehmer - ungewöhnlich viel für dieses Genre.
Der Fotoausstellung im Schloss Rosenstein, die am 19. Juli
1995 beginnt, wird es wohl ähnlich ergehen (siehe oben).
Womöglich gibt das den Impuls, das schwierige Leben
dieses Mannes tiefer zu erforschen. Vielleicht gelingt es,
sich ein besseres Bild von ihm zu machen. Selbst wenn man
auf ewig nicht wissen wird, wie er tatsächlich ausgesehen
hat, dieser Giovanni Salucci aus Florenz.
Fotos: Enslin/2004