WIRT
AM BERG
Wundersam erzählt die Sage den Ursprung des hohen
königlichen Hauses Württemberg.
Wie der alte Barbarossa nahe dem Kyffhäuser seine Rothenburg
hatte, deren Trümmer noch steht, so war auch im Lande Schwaben ein
Rothenberg, und in dessen Nähe hielt der Kaiser Hofhalt mit seiner
Prinzessin und seinen Wappnern.
Da geschah es, daß die Prinzessin einen Dienstmann liebgewann
und er sie entführte, und harreten verborgen, bis der Kaiser
hinweggezogen war, dann baueten sie sich an am Berge, wie jener Grafensohn
im Lahngau, der mit einer nicht ebenbürtigen Maid eine Mißheirat
eingegangen war, und wirtschafteten am Bergesfuß, und der Kaiser
konnte nimmer erfahren, wohin sein Kind gekommen.
Da er nun nach Jahr und Tag wieder in selbe Gegend kam, kehrte er
ein bei dem Wirt am Berge, und der Tochter bebte das
Herz, doch hielt sie sich unerkannt, bereitete aber des Kaisers Lieblingsspeise,
die er so lange entbehrt, und die niemand weiter gerade so zu bereiten
verstand wie sie. Da war es dem Rotbart weh ums Herz, und gedachte mit
neuem Schmerz der entschwundenen Tochter und meinte, sie müsse
da sein, nur sie könne das Essen also bereitet haben, und rief
aus: Ach, wo ist denn meine liebe Tochter? - Da sind ihm die Übeltäter
aus Liebe flehend zu Füßen gefallen, daß er ihnen verzeihe,
und ging es gerade wie bei Karl dem Großen und Eginhard und Emma,
von denen ganz dieselbe Sage geht: der Kaiser war froh, daß er
die Tochter am Leben fand, und verzieh.
Schenkte dann seinem Schwiegersohn den ganzen Rothenberg,
erhob ihn zu einem hohen Grafen, doch sollte er den Namen Wirt am Berg
fortführen. Da erbaute der Wirt am Berg auf den Berggipfel hinauf
eine stattliche Feste und ward der Urheber des württembergischen
Stammes.
Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853
http://www.sagen.at/texte/sagen/deutschland
/baden_wuerttemberg/wirtamberg.html
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.07.1995 - Deutschland und die Welt
Wo Ulrich mit dem Daumen und Eberhard der Erlauchte residierten
Der Württemberg in Stuttgart: Von der Stammburg
zur Grabkapelle
Von Alfred Behr
STUTTGART, 10. Juli 1995. Dafür, wie Württemberg zu seinem Namen gekommen ist, gibt es eine sagenhafte und eine realistische Erklärung. Die Sage erzählt, eine Kaiserstochter habe sich mit einem Bürgerlichen auf und davon gemacht und nach heimlicher Hochzeit an einem Hügel in Schwaben, dem Rotenberg über Stuttgart-Untertürkheim, eine Wirtschaft eröffnet. Der Inhaber habe den Namen "Wirt am Berg" erhalten. Der Kaiser soll der morganatischen Ehe später zugestimmt und den Wirt am Berg zum Grafen von Wirtemberg ernannt haben.
Eine weniger sagenhafte Deutung leitet die Bezeichnung Württemberg von dem keltischen Wort Virodunum (Berg oder Burg des Viro) ab. Bei dem keltischen Virodunum, in mittelalterlichen Urkunden auch Wirtemberc genannt, handelt es sich um den 411 Meter hohen Württemberg am östlichen Stadtrand von Stuttgart. Von der Spitze des Hügels hat man einen prächtigen Blick auf das Weinbauerndorf Rotenberg, das als Ensemble unter Denkmalschutz steht, auf den Neckar, der sich den Öltanks im Hafen entgegenschlängelt, und auf die Schwäbische Alb. Die Stuttgarter nennen den Württemberg noch heute gelegentlich Rotenberg, in Anlehnung an den Namen des nahegelegenen Ortsteils.
Auf diesem Hügel bauten die Württemberger ihre Stammburg, die dem Bindestrichland im deutschen Südwesten den zweiten Teil seines Namens gibt. Die älteste Urkunde, die über die Herren von Württemberg unterrichtet, stammt aus dem Jahre 1081. Es war die bewegte Zeit der Auseinandersetzungen zwischen Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII., deren Höhepunkt der Bußgang des Kaisers nach Canossa war. Die deutschen Fürsten hatten den gebannten Kaiser verlassen und an seiner Stelle Herzog Rudolf von Schwaben 1077 als Gegenkönig auf den Schild gehoben, einen Regenten, der recht glücklos war.
Zu dieser Zeit machte sich Konrad von Beutelsbach, der im Remstal zu Hause war, in Stuttgart daran, auf dem Württemberg - auch Rotenberg genannt - eine Burg zu bauen. Als sie fertig war, änderte der Bauherr seinen Namen und nannte sich Konrad von Württemberg. Als am 7. Februar 1083 die Burgkapelle vollendet war, nahm Bischof Adalbert von Worms die Weihe vor. Die Urkunde darüber ist heute noch vollständig erhalten. Sie wurde nämlich in Stein gemeißelt; jener Stein mit der wohl ältesten bekannten Inschrift einer Burg in Deutschland ist das einzige, was von der ersten Burg der Württemberger erhalten blieb.
Bedeutender als die Württemberger war das schwäbische Adelsgeschlecht der Staufer, das seinen Stammsitz auf dem Hohenstaufen hatte; die Staufer waren im Mittelalter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und Herzöge von Schwaben. Die Württemberger standen anfangs in engem Verhältnis zu den staufischen Nachbarn, aber 1246 war es aus mit der Freundschaft. Im Kampf zwischen dem jungen Stauferkönig Konrad IV. und dem päpstlichen Gegenkönig Heinrich Raspe in Frankfurt am Main zog Graf Ulrich von Württemberg plötzlich die Fahnen ein und verließ mit seinen zweitausend Reitern unerwartet das Heer. Damit war die Niederlage des Staufers besiegelt. Der Württemberger hatte sich vom Papst bestechen lassen: mit 7000 Mark Silber und dem Versprechen, ihm das Herzogtum Schwaben zu verschaffen.
Die erste Zerstörung der Burg Wirtemberg 1311
Ulrichs Sohn, Graf Eberhard der Erlauchte, ein rebellischer Haudegen, führte Kriege gegen insgesamt fünf Könige. Eberhard raubte vom gewaltigen Stauferbesitz, der nach dem Tod Konradins, des letzten Staufers, herrenlos zerstreut im Land lag, soviel zusammen, wie er konnte. Das passte weder den Reichsstädten noch Kaiser Heinrich VII. Sie besiegten den Erlauchten in gemeinsamer Anstrengung und zerstörten 1311 die Burg Württemberg, wobei sich die Esslinger als Führer des Schwäbischen Städtebundes hervortaten. Eberhard, der nach der Zerstörung der Burg Württemberg den Sitz der Grafen in den Ortskern von Stuttgart verlegte, wo er mit dem Bau des heutigen Alten Schlosses begann, und sein Vater Ulrich (genannt "Ulrich mit dem Daumen" und "Ulrich der Stifter") gelten als eigentliche Begründer des Landes Württemberg.
Die zweite Burg Wirtemberg brennt 1519 ab
Die zerstörte Burg Württemberg wurde, kleiner als vordem, wieder aufgebaut und überstand mehr als zweihundert Jahre in einiger Bedeutungslosigkeit. Das änderte sich, als Herzog Ulrich von Württemberg an die Macht kam, der zwielichtige Herrscher, der nicht davor zurückschreckte, seinen Stallmeister Hans von Hutten eigenhändig zu ermorden. Als Ulrich es wagte, die Reichsstadt Reutlingen zu überfallen, um sie seinem Herzogtum einzugliedern, wurde es dem Schwäbischen Bund zu bunt. Unter dem Oberbefehl Herzog Wilhelms von Bayern besetzte der Städtebund fast ganz Württemberg, jagte Ulrich aus dem Land und ließ die
zweite Burg Württemberg 1519 in Flammen aufgehen.
Dass Ulrich wieder in sein Ländle zurückkehren konnte, verdankte er Landgraf Philipp dem Großmütigen von Hessen, seinem Vetter, der 1534 in der Schlacht bei Lauffen Ulrichs Feinde besiegte und den habsburgischen Statthalter, der sich in der Zwischenzeit zum Herrscher am Neckar aufgeschwungen hatte, vertrieb. Ulrich ließ das Stammschloss Württemberg ein drittes Mal aufbauen. Die unruhigen Zeiten der Reformation gingen auch an Württemberg nicht spurlos vorüber. 1547 besetzten die Truppen des spanischen Herzogs von Alba die Burg. Alba, damals erst am Beginn seiner blutigen Karriere, war als Befehlshaber über das Heer Kaiser Karls V. im Schmalkaldischen Krieg nach Stuttgart gekommen.
Burg Wirtemberg vor 1819 von Franz Xaver
Odo Müller
aus Robert Uhland
(Hrsgb.): 900 Jahre Haus Württemberg,
3. Aufl., Stuttgart, 1985
Die dritte Burg Wirtemberg wird 1819 geschleift
1819 wurde die Burg ein drittes Mal geschleift, diesmal nicht durch Feindeshand, sondern auf Befehl des württembergischen Königs Wilhelm I. Dessen Frau Katharina, eine russische Zarentochter, hatte sich gewünscht, am Stammsitz des Hauses Württemberg ihre letzte Ruhe zu finden. Königin Katharina, 1788 in der Nähe von St. Petersburg geboren, starb nach dreijähriger Ehe im Alter von dreißig Jahren. Sie ist den Stuttgartern als Wohltäterin in guter Erinnerung; eines der großen Krankenhäuser der Stadt, das Katharinenhospital, trägt ihren Namen.
Gegen die Absicht des Königs, den Stammsitz der Württemberger abzureissen, gab es Proteste in der Bevölkerung, die den Monarchen aber nicht von seinem Vorhaben abbrachten. Die Pläne für die Grabkapelle stammen von Hofbaumeister Salucci, das Innere wird geschmückt von Marmorstatuen der großen Bildhauer Dannecker und Thorvaldsen.
Über den Bau der Grabkapelle auf dem Württemberg merkt der spottlustige Hermann Missenharter in seinem Buch "Herzöge, Bürger, Könige - Stuttgarts Geschichte, wie sie nicht im Schulbuch steht" an, es sei schade, dass der sonst so gescheite König Wilhelm "ausgerechnet diesen für sein Haus und das ganze Land historisch so bedeutsamen Fleck Erde zur Grabstätte bestimmte und von dem Italiener Salucci, der auch das königliche Landhaus Rosenstein gebaut hat, zur Krönung des lieblichen, rebenbestockten Hügels eine hier arg deplaciert wirkende griechische Rotunde erstellen ließ".
Missenharter nörgelt weiter: "Niemand hätte es offenbar wagen dürfen, den Monarchen, der bekanntlich den maurischen Stil (in der Wilhelma und im Schloss Montfort am Bodensee) für besonders repräsentativ unter schwäbischem Himmel erachtete, von einer solchen Pietätlosigkeit abzuhalten." Der Württemberg, so der Autor, sei eine stolze Ahnenburg gewesen, "nicht türmereich wie die der Hohenzollern, aber behaglicher und wie aus der Landschaft natürlich erwachsen".
König Wilhelm genoss bei seinen Württembergern hohes Ansehen. Nach der katastrophalen Missernte 1816/17 und der Hungersnot, die Tausende zur Auswanderung nach Osteuropa und Amerika bewegte, rief er eine landwirtschaftliche Ausstellung ins Leben, die im Herbst dieses Jahres als Cannstatter Volksfest zum 150. Mal gefeiert wird. Der König hatte verfügt, seinen Leichnam in nächtlicher Stille auf den Württemberg zu überführen: "Ich wünsche mir, dass diese Fahrt so eingerichtet werde, dass ich mit dem ersten Sonnenstrahl auf dem Rotenberg ankomme . . . Ich will ruhen in dem schon vor Jahren erbauten Grab meiner verewigten Gemahlin Katharina, wie ich es ihr versprochen hatte."
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