Nun hätte es endlich vorangehen können, doch wenige Tage später kam die Währungsreform. Am 20. Juni endete der Wert der Reichsmark und jeder Deutsche, der in den Westzonen wohnte, mußte mit 40 neuen Deutschen Mark wieder ganz von vorn beginnen. Der Auto-Konstrukteur wußte nicht, wie er nun seine Mitarbeiter bezahlen sollte: „Wir sind praktisch pleite." Um wenigstens etwas Geld in die Kassen zu bekommen, verkaufte er den einzigen fahrbereiten Prototyp. Kunden gab es genug; seit Mai hatten immer mehr Schwerbeschädigte angefragt, ob sie nicht endlich einen Wagen kaufen könnten. Hurst mochte die Versuchswagen nicht aus der Hand geben, doch jetzt waren sie sein einziges Kapital. Mit 2000 D-Mark aus dem Verkauf und neuem Kredit konnte im Juli 1948 die Arbeit weitergehen.
Die wirtschaftliche Situation hatte sich allgemein gebessert, es gab wieder genügend Material zu kaufen, Warenkontingente wurden von den Behörden großzügiger verteilt. Zusammen mit der neu erteilten Herstellungsgenehmigung vom Landwirtschaftsamt erhielt Hurst zur Herstellung von monatlich fünf Wagen eine Stahlmenge von 2000 Kilogramm. Nun fand sich auch ein Interessent, der Hurst-Wagen für Nordbaden herstellen wollte. Die Mannheimer Ingenieure Rudi Zimmermann und Bernhard Herrmann planten, einen kompletten Betrieb zu errichten.
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Dem Beruf nachfahren
Hurst und Müller zeichneten nochmals ein neues Kleinstauto; wieder mit selbsttragender Karosserie und dem verstärkendem Rahmen im Innenraum. Im Gegensatz zum Vormodell bekam die neue Kreation nun einen eckigen Bug mit zwei Scheinwerfern, einer hochklappbaren Haube und darunter Kofferraum. Anstatt der einfachen Speichenfelgen sollten nun Aluminium-Scheibenfelgen Verwendung finden. Sie sollten, ebenso wie die Bremsbacken, eigens für den Hurst-Wagen angefertigt werden. Breitere Türen erhöhten den Einstiegskomfort für die Behinderten.
Aber auch jetzt wurde aus dem kleinen Cabriolet kein Luxuswagen; die Türen besaßen keine Innenverkleidungen, am Armaturenbrett saß nur der Tachometer, der Licht- und Winkerschalter - sowie auf Wunsch und gegen Aufpreis der Druckknopf für einen elektrischen Anlasser.
Abgesehen von dem Stoffverdeck, das sich über ein Rohrgestellt spannte, fehlten Seitenfenster völlig. Der neue Wagen besaß als Prototyp weder Scheibenwischer noch Heizung. Anstatt der serienmäßigen Drehkurbel zum Anlassen des Motors war ein elektrischer Anlasser wenigstens gegen Aufpreis vorgesehen. Wie bei den Vormodellen, blieb auch beim Modell 1949 die Bedienungsart: Alle Schalter saßen an einem Motorradlenker, der Schalthebel zum Getriebe hing am mittleren Rohrrahmen, Pedale gab es nicht.
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Felgen vom NSU-Motorrad: Arthur Friedrich Hurst am Lenker seines Wagens im August 1948. |
Am 12. September 1948 unterschrieben alle Beteiligten einen Vertrag, der den Mannheimern „die alleinige Herstellung und den Vertrieb" des Versehrtenfahrzeugs im Gebiet Nordbaden zusicherte. Die Lizenznehmer sollten dabei auf eigenes Risiko arbeiten und von jedem verkauften Exemplar zehn Prozent des Verkaufspreises an Hurst entrichten. Inzwischen hatte Hurst sein Mobil auch der Zulassungsstelle vorgeführt und die bemängelte den einzelnen Scheinwerfer am Bug. Es zeigte sich auch, daß die Materialien nach der Währungsreform qualitativ besser waren und damit ein Auto haltbarer gebaut werden konnte. Die Kunden wünschten das Fortbewegungsmittel außerdem Auto-ähnlicher. Konstrukteur Müller unterbreitete dazu seinem Chef eine Menge Verbesserungsvorschläge, wie ein Hurst-Wagen rationeller gebaut werden könnte. Kurz: Im Laufe des Herbstes 1948 verkaufte Hurst auch die beiden anderen Prototypen zum Stückpreis von 2500 Mark und begann zum zweiten Mal ganz von vorn. |
Am 19. Dezember 1949 führte Hurst der „Wochenpost" das neue Modell vor. „Das Fahrzeug des kleinen Mannes", schrieb sie begeistert und lobte: „Es paßt sich den Belangen von Beinamputierten an, die Bedienung erfolgt restlos von Hand." Die Bedienung erfordere „Übung, jedoch keine besonderen Kenntnisse." Geblieben war die Technik: Wiederum saß ein 250 ccm-Ilo-Motor im Heck, der seine sechs PS auf das linke Hinterrad abgab. Die Nachteile solcher Antriebsart mußte der Fahrer beim Lenken ausgleichen, denn sowohl beim Gasgeben wie Gaswegnehmen erhielt das winzige Auto einen ganz leichten Linksdrall: Unklar blieb vorerst die Frage nach dem Preis. Die „Wochenpost" berichtete, der „Hurst 250" werde in Serie etwa 3000 Mark kosten. Vorerst, so hatte der Stuttgarter errechnet, kostete ihn jedes Einzelexemplar rund das Doppelte. Erst bei einer Serie von etwa 50 Wagen pro Monat wäre der 3000 Mark-Preis auch kostendeckend. |

Rohrrahmen zwischen den Sitzen und (in der späteren Ausführung) Scheibenwischer mit Handkurbel. |
Wenn aber Käufer kamen, baute ihnen Hurst schon ihren Wagen zum künftigen Serienpreis. So auch für den Schwerbehinderten Werner Toberer aus Hubstadt. Der Doppelbeinamputierte und einarmige Kriegsversehrte hatte Hurst schon im Dezember um dringende Lieferung gebeten. Als sich auch das Hilfswerk der evangelischen Kirche und die Landesver- sicherungsanstalt einschalteten, wurde Toberers Wagen bevorzugt fertiggestellt. Er ähnelte äußerlich schon dem Modell 1949, besaß jedoch eine große, in einem Stück geformte Fronthaube und aus Sparsamkeitsgründen Motorradfelgen. Als es an den Käufer ging, beteiligte sich das Hilfswerk mit 1000 Mark Spende an dem 3000 Mark-Kaufpreis. Am 7. Januar 1949 übergab Hurst den Wagen und im Februar berichtete die „Stuttgarter Illustrierte" darüber: „Der Körperbehinderte kann seinem Beruf wieder nachfahren." In der amerikanischen Besatzungszone gelangte Hurst in den folgenden Wochen zu Ruhm und Ehre. Das „Schwäbische Tageblatt" berichtete unter der Schlagzeile „Doppelbeinamputierter steuert Kleinauto" von den Arbeiten Hursts.
Die „Oberpfälzische Zeitung" schilderte den „Hurst 250", der angeblich eine „beachtliche Geschwindigkeit von 70 km/h erreichen" sollte. Zwischen den Bildern der Woche von Winston Churchill, Frankfurts Oberbürgermeister Dr. Meyer und dem Münchener Polizeipräsidenten Pitzer war im „Frankfurter Tag" auch Hurst mit seinem Mini abgelichtet. Die Zeitung „Die Fackel" brachte einen großen Bericht: „Es ist Ingenieur Hurst mit Hilfe seiner Mitarbeiter, die selbst von der „Wiege des Automobils" stammen, nämlich aus den Daimler-Benz-Werken, gelungen, ein wirklich brauchbares Versehrtenfahrzeug herzustellen, das augenscheinlich in Deutschland zur Zeit an der Spitze aller ähnlichen Konstruktionen steht." Und das Fachblatt „Das Auto" stellte fest: „Die jetzt abgeschlossene Konstruktion des Fahrzeugtyps ist für seinen Zweck als vollendet anzusprechen." Hurst selbst ließ nun Prospekte drucken: „Hurst 250 bietet Ihnen wieder Verdienstmöglichkeit und mehr Lebensfreude." Den Preis seines Kleinstwagens gab er nun erstmals mit exakt 2800 Mark an. |

Das erste Exemplar: noch mit Kickstarter am hinteren rechten Rad ausgestattet.
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