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STOLPERSTEINE

Schicksale von Nazi-Opfern ans Tageslicht gebracht

09.05.2007 Untertürkheimer Zeitung
LUGINSLAND: Stolpersteine für die ermordeten Sofie Klenk und Ernst Rohatsch -
Geschichte wird für Schüler lebendig

(mk) - Jahrelang blieben ihre Schicksale verschüttet - gestern bekamen sie Namen: Sofie Klenk, hingerichtet 30.11.1944 im KZ Dachau und Ernst Rohatsch, ermordet am 12.11.1940 in Grafeneck. Nazi-Schergen richteten ihn als Behinderten und Klenk als politisch Verfolgte hin. Zwei Stolpersteine in Luginsland erinnern nun an die bislang anonymen Opfer.

Nägelesäcker 55Ernst Rohatsch
Stuttgart-Luginsland - Nägelesäcker 55 - Stolperstein für Ernst Rohatsch Fotos: Enslin

Der leichte Nieselregen hinderte gestern Nachmittag mehr als 100 Bürger nicht daran, an der kleinen Gedenkfeier vor dem Haus Nägelesäcker 55 beizuwohnen. Dort stand das Elternhaus von Ernst Rohatsch.„Ich habe ihn nicht mehr gekannt, weiß aber, dass er sich noch acht Monate an mir, seiner Nichte erfreute und mich im Kinderwagen spazieren fuhr“, las Susanne Rohatsch in ergreifenden Worten vor. Onkel Ernst war behindert, arbeitete unter der Woche in der Werkstatt in Stetten, lief jedoch jedes Wochenende von Stetten zur Familie in Luginsland. Am 12. November 1940 wurde er in die „Heilanstalt Grafeneck verlegt“, wie es in der Nazibürokraten-Sprache heißt.

Seit ihrem Besuch in der heutigen Gedenkstätte Grafeneck ahnen die Mitglieder der Initiativgruppe Stolperstein und Neuntklässler der Lindenrealschule, wie die letzten Stunden verliefen. „Die Behinderten kamen in grauen Omnibussen ins Lager und wurden zum ‚Duschen‘ geschickt. In dieser Hütte wurden sie vergast“, schilderte Margarete Hofstetter die tödliche NS-Maschinerie. Rohatschs Eltern bekamen ein Beileidschreiben, dass ihr Sohn an Gürtelrose verstorben sei. Die Wahrheit kam ans Tageslicht und bleibt mit dem Stolperstein eine mahnende Erinnerung.

„Er gibt einigen Opfern ihre Namen und Würde wieder. Und uns Heutigen wird bewusst, dass Unrecht und Menschenverachtung ganz nah an unsere Wohnungen heranrücken können“, meinte Pfarrer Reinhard Mayr. Auf noch mehr unter die Haut gehenden Art drückten dies Achtklässler der Luginslandschule aus: Mit Musikinstrumenten untermalt ließen sie Sofie Klenks Leben Revue passieren.

Sie lebte mit ihrem Mann kurz bei Familie Schlotterbeck. Die Nachbarschaft zu den Widerstandskämpfern war für die Gestapo Grund, das Ehepaar zu verhaften. Sie wollten den Aufenthaltsort der geflohenen Schlotterbecks erfahren. Aus Angst vor Folter hat sich Klenk die Pulsadern aufgeschnitten. Für die Gestapo ein Schuldeingeständnis. „Sie kam ins Frauenarbeitslager Rudersberg.“

„Am 30.11.1944 wird sie im KZ Dachau hingerichtet“, lasen die Schüler vor und fügten ihre Gedanken an: „Sie war mutig“. „Ich bin froh, dass ich in einer Demokratie lebe und keine Angst beim Aufstehen haben muss, dass ich abgeholt werde“, beschrieben die Hauptschüler ihre ehrlichen Gefühle.

Bezirksvorsteher Klaus Eggert dankte der jungen und der älteren Generation der Stolperstein-Aktivisten anschließend, dass sie mit den Steinwürfeln und solchen Feiern die Erinnerung an die Verbrechen des Terrorregimes wach halten. Wegen des Regens hatte Künstler Gunter Demnig den zehn mal zehn Zentimeter großen Stein, im Vorfeld vor dem Haus Manfredstraße 17, Sofie Klenks Elternhaus, eingelassen. Auf einem Messingblech ist der Name des Opfers eingraviert.

Hinweise auf weitere NS-Opfer nimmt die Initiative Stolperstein gerne entgegen. Sie gehen ihnen mit Sorgfalt nach. Spenden bitte unter Kontonummer 22480404 bei der Untertürkheimer Volksbank, BLZ 600 603 96.

Ernst Rohatsch - Opfer der NS-Euthanasie aus S-Luginsland

Rede von Susanne Rohatsch am 8. Mai 2007 anlässlich der Stolpersteinverlegung durch den Künstler Gunter Demnig und die Initiative Stolperstein für ihren Onkel Ernst Rohatsch (*29.10.1908), der im Nägelesäcker 55 in Stuttgart-Luginsland gewohnt hatte und am 12.11.1940 in der Heilanstalt Grafeneck ermordet wurde:

Ich danke Ihnen allen, daß Sie zu diesem Ehrentag meiner Familie gekommen sind und daß Sie Anteil nehmen am Schicksal unseres Onkels und Vetters Ernst Rohatsch.

Ich habe ihn nicht mehr gekannt, weiß aber, daß er sich noch acht Monate an mir, seiner Nichte erfreut hat und mich auch oft im Kinderwagen spazieren fuhr.  Er kam nämlich jedes Wochenende zu Fuß von Stetten zu seiner Familie und hat sein Leben auch mit ihr hier geteilt. In Stetten hatte er eine Arbeit in der Landwirtschaft und war trotz seiner schweren Krankheit bekannt als Scherzbold und Leseratte. Leider konnte er überhaupt nicht rechnen und war auch sonst so kindlich geblieben, daß man zu den damaligen Zeiten nichts anderes mit ihm anzufangen wußte, als ihn in eine Anstalt zu bringen.

Bis vor kurzem war nur dieses vom Onkel Ernst in meinem Kopf, begleitet von einem unendlichen Mitleid mit meiner Oma, die hintereinander zwei Söhne verloren hatte. Und nun tritt ein mir ganz unbekannter Mensch, der Künstler Gunter Demnig mit seinen Helfern auf und holt meinen Onkel aus der Versenkung. Ich beschäftige mich jetzt nochmal mit ihm und spüre wie ich immer mehr mit diesem Onkel Ernst verbunden bin. Ich spüre eine warme Liebe für ihn und den Wunsch, ihn wiederzusehen.

Danke Herr Demnig, ohne Ihre Gedankenwelt, Ihr Künstlertum und ohne die Mitarbeit Ihrer Helfer, der Initiative Stolperstein, und ohne die Mitarbeit der Stadt Stuttgart (die diesmal als Behörde eine rühmlichere Rolle spielt), wäre uns eine solche Ehre nicht widerfahren. Das ist für mich wie  ein modernes Märchen: ?ein böser Mensch läßt Millionen Unschuldiger ermorden. Ein guter Mensch erfaßt 50 Jahre später diese Ungeheuerlichkeit in seiner Seele und bekommt Helfer und die innere Kraft, wie einst David in der Bibel, so daß er hinter das böse Werk des Goliath einen geistigen Sieg stellen kann.?

Der heutige Tag wäre ein Freudentag für unsere Großeltern und meine Eltern geworden, doch sie mußten sterben mit dem traurigen Gedanken, daß ihr Sohn und Bruder vergast wurde und daß der Schlußstrich ein Beileidsschreiben der Landesregierung war zusammen mit einer Urne, als Todesursache hatte man nicht Vergasung sondern ?Gürtelrose? eingetragen. Meine Großeltern hatten  auf dem Untertürkheimer Friedhof für ihren jüngsten Sohn Georg, der wenige Jahre zuvor vom Baum gefallen und daran gestorben war, schon ein Grab gekauft - und setzten nun die Urne für ihren ältesten Sohn Ernst mit der unbekannten Asche dort bei. Die Asche war nicht seine und die Todesursache war eine Lüge. Und das ausgesprochene Beileid ein Schlag ins Gesicht.

Es war Krieg, und vier Jahre später fiel eine Brandbombe auf das Haus meiner Eltern und Großeltern und zerstörte es vollständig. Dieses Jahr im Januar konnte ich die Krankenakte meines Onkels aus der Anstalt Stetten in Kopie bekommen und  durchlesen. Dort steht über unseren Onkel am Anfang: "aufgenommen am 5.11.1926 Punkt. Und dann: ausgetragen am 12.11.1940, auf Anordnung des Innenministeriums verlegt."

Auch in der Anstalt verlogene Eintragungen, ausgetragen anstatt zum Tode verurteilt, und verlegt anstatt vergast. Alle wußten doch genau was geschehen war. Wie man sich wohl fühlt, wenn man am Schreibtisch solche Lügen in die offiziellen Akten schreibt. Diese Beamten und Angestellten hatten alle Angst, ich will es wohl glauben. Aber die Wahrheit kommt doch ans Tageslicht, sie war immer am Tageslicht.

Die Diakonie Stetten konnte sich erst nach ca. 50 Jahren dazu durchringen, für ihre dem Tode ausgelieferten Patienten ein Denkmal mit allen Namen zu setzen. Nur leider steht dieses Denkmal an einem ganz abgeschirmten, hinter Hecken versteckten Platz, den man erst findet, wenn man sich danach erkundigt hat.

Ob hier wieder eine Angst herrscht, die Angst um den guten Ruf?
Ach, wären wir doch alle ein bißchen mutiger in unserem Leben!

Die für uns schon abgenutzten und immer wieder gebetsmühlenartig in den Medien wiederholten  Wörter, Rechtsstaat, Demokratie, Bürgerrechte haben eine tiefe,  uns alle angehende  Bedeutung, nämlich daß in einem solchen Staat anständige Menschen wie wir hier sich nicht aus Angst so wie damals verbiegen müssen.

Jeder einzelne unter uns sollte sich öfters mal überlegen, was für ein Glück er hat, in einem solchen Staat zu leben. Zum Schluß nochmals unser herzlicher Dank an alle Mitwirkenden und Teilnehmenden, Ihre Arbeit und Ihr Mitgefühl tragen jetzt Früchte und werden auch weiterhin Früchte tragen.

05/2007, Susanne Rohatsch

Quelle: http://www.stolpersteine-stuttgart.de/index.php?docid=313

Gertrud Lutz, geborene Schlotterbeck, genannt Trude
* 17. September 1910 in Reutlingen; † 30. November 1944 im KZ DachauElse Himmelheber

Auf dem Haigst 6, Stuttgart-Degerloch:
Die überzeugte Kommunistin kämpfte wie ihre ganze Familie von 1933 an gegen die NS-Herrschaft. Von einem Spitzel verraten, wurde sie verhaftet und am 30. November 1944 zusammen mit 9 Angehörigen und Freunden hingerichtet. Ihre 2-jährige Tochter Wilfriede kam in ein NS- Kinderheim. Nach dem Krieg lebte sie bei Frieder Schlotterbeck, dem Bruder ihrer Mutter, der den Mächtigen der DDR zu unbequem war und unter fadenscheinigen Gründen inhaftiert wurde. Wilfriede kam nun in ein DDR-Kinderheim.

Stolperstein für Gertrud Lutz am 5. Oktober 2009
Foto: Michael Horlacher

Gertrud Lutz - Verfolgt, verhaftet, gefoltert

Südwestpresse Metzingen/Ermstal 6. Dez. 2010
Dettingen.  Im September 2010 jährte sich der Geburtstag von Gertrud Lutz zum 100. Mal. Günter Randecker veröffentlicht Briefe und Dokumente, die dem Leben der Stuttgarter Widerstandskämpferin nachspüren.

Randecker
Günter Randecker befasst sich mit Widerstandskämpferin Gertrud Lutz, die zeitweise in Grabenstetten lebte.
Foto: Schmied

Gertrud Schlotterbeck wurde am 17. September 1910 in Reutlingen geboren. Als Tochter des Gewerkschafters Gotthilf Schlotterbeck und seiner Frau Maria wuchs sie, gemeinsam mit dem Bruder Frieder in einem Haushalt auf, dessen Mitglieder sich für die Interessen der Arbeiterschaft einsetzten und gewerkschaftlich engagiert waren. Dieses Engagement des Vaters prägte auch Gertrud, die sich ab 1933 im Untergrund gegen die neuen Machthaber, die Nationalsozialisten, engagierte.

In Stuttgart, die Familie war wegen der Arbeitsstelle des Vaters bei Daimler in Untertürkheim dorthin gezogen, entwarf und verteilte Gertrud schon damals Flugblätter. Deren Inhalt lehnte sich an die Schriften des Widerstandskreises "Die weiße Rose" an. Schlotterbeck wurde 1933 verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. In den Briefen an die Angehörigen wird deutlich, dass sie versucht, die Hoffnung nicht zu verlieren. Nach Ablauf der Strafe kam Gertrud allerdings nicht frei, sondern in diverse Konzentrationslager. Sie erkrankte und wurde mehrmals, möglicherweise auch zu Versuchszwecken, operiert. Schließlich wurde sie im Dezember 1936 entlassen - nachdem sie jeglicher politischer Betätigung abgeschworen hatte.

1938 heiratete sie Walter Lutz, einen Forstwirt, der eingezogen und an die Ostfront geschickt wurde. Kurz nach der Geburt der Tochter Wilfriede, Nomen est Omen, fiel der Vater. Gertrud wurde 1944 aus dem von Bomben bedrohten Stuttgart nach Grabenstetten auf die Alb evakuiert. Nur wenige Monate später wurde sie, wie ihre Eltern und mehrere Mitstreiter, wiederum verhaftet. Ihre Tochter wurde von der Grabenstetter Familie Keller betreut, bis Frieder Schlotterbeck, der der Verhaftung in die Schweiz entkommen war, sie zu sich nahm.

Wilfriede Hess lebt heute in Berlin und hat die Dokumente zur Verfügung gestellt. Am 19. November 1944, elf Tage vor ihrem Tod, schrieb Gertrud den letzten Brief aus dem Gefängnis, voller Sorge um die kleine Tochter, aber auch voller Bitterkeit über das in den letzten Jahren selbst erlittene Leid.

Verbindung zu Dettingen besteht in den Schriften Wilhelm Zimmermanns, die die Geschwister bewunderten. Die Mitglieder der Widerstandsgruppe Schlotterbeck wurden 1949 mit einem Ehrenmal auf dem Friedhof in Untertürkheim geehrt. 2009 wurde vor dem Wohnhaus von Gertrud Lutz in Stuttgart-Degerloch ein "Stolperstein" zum Gedenken gesetzt.

Günter Randecker hat ein Stück fast vergessener Heimatgeschichte festgehalten. Neun Monate hat er sich mit dem Leben von Gertrud Lutz beschäftigt, die in deutscher Schrift verfassten Briefe transkribiert und gemeinsam mit Bildern und anderen Dokumenten veröffentlicht. Zu beziehen ist das Buch "100 Jahre Gertrud Lutz" im Internet unter GertrudL@gmx.de.

Günter Randecker hat mit der Edition der Briefe und anderer Zeugnisse von Gertrud Lutz einen Beitrag zum Erhalt der Erinnerung an die Zustände und Gräueltaten während der Zeit des Nationalsozialismus geleistet.

Leider waren nur zwei Interessierte zu der Veranstaltung in Dettingen gekommen, um etwas über das Leben von Gertrud Lutz zu erfahren.

Gertrud Lutz - Kämpferin gegen das NS-Regime

Tude

Untertürkheimer Zeitung 17.9.2010

LUGINSLAND: Heute wäre Gertrud Lutz
100 Jahre alt geworden - Das Mitglied der
Schlotterbeck-Familie wurde im KZ ermordet

Von Alexander Müller

Sie war gelernte Kauffrau, Ehefrau und liebevolle Mutter - aber vor allem war sie überzeugte Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime. Heute wäre Gertrud Lutz 100 Jahre alt geworden. 1944 wurde die Luginsländerin zusammen mit ihren Eltern Gotthilf und Maria Schlotterbeck im Konzentrationslager Dachau von den Nazis ermordet. Am 17. September 1910 erblickte „Trude“, wie sie Zeit ihres Lebens liebevoll genannt wurde, in Reutlingen das Licht der Welt. Aber schon in jungen Jahren erfolgte der Umzug nach Luginsland. Unter den Einflüssen ihrer Familie, entwickelte sie sich als junge Frau zur überzeugten Kommunistin. Sie bekämpften in ihrer eigenen Widerstandsgruppe das Regime mit allen Mitteln.

Der Name Schlotterbeck ist eines der dunkelsten Kapitel der Untertürkheimer Geschichte während der Zeit des Nationalsozialismus. Einzig ihr Bruder Friedrich sollte letztendlich das Regime überleben und sich um ihre Tochter Wilfriede kümmern. Bereits 1931 wurde die junge Gertrud Schlotterbeck Mitglied des Kommunistischen Jugendverbands Deutschland (KJVD) und der KPD. Arbeit fand sie in einem Stuttgarter Verlag der kommunistische Schriften publizierte.

Gertrud Lutz mit Tochter Wilfriede - Foto: VVN

Nur ein Jahr später erfolgte die erste Verhaftung wegen des Verdachts der kommunistischen Zersetzung, allerdings wurde das Verfahren 1933 eingestellt. Kurz darauf flüchtete sie aus Luginsland und ging in den Untergrund. Einer erneuten Verhaftung im Oktober 1933 entkam sie aber nicht. Ab September 1934 verbrachte sie über zwei Jahre in KZ-Lagern. Nach ihrer Entlassung am 7. Dezember 1936 lebte sie wieder bei ihrer Familie in der Annastraße in Luginsland. 1938 heiratete sie den Forstassessor Walter Lutz und zog nach Degerloch. Im Blickfeld des Regimes blieb sie aber weiterhin. Zu Kriegsbeginn 1939 wurde sie vorbeugend verhaftet, aber wieder entlassen. Kurz nachdem ihr Mann eingezogen wurde, kam am 2. August 1942, die Tochter Wilfriede Sonnhilde zur Welt. Ein Kind mitten im Krieg „Will-Friede“ zu nennen, zeugt von dem Mut der Mutter. Vater Walter sollte seine Tochter nie sehen, er fiel im Oktober 1942.

Aber nicht nur „Trude“ hatte bis dahin schon Zeit im KZ verbracht, sondern auch ihr Bruder Friedrich. Seit dessen Entlassung im August 1943 arbeitete die ganze Familie Schlotterbeck von Luginsland aus als „Widerstandsgruppe Schlotterbeck“ gegen das Regime bis diese 1944 verraten wurde. Trotz der Fluchtversuche wurden alle Mitglieder verhaftet, hingegen wähnte sich Gertrud Lutz, seit sie im Januar 1944 vor den Bombenangriffen auf die Schwäbische Alb nach Grabenstetten geflüchtet war, in Sicherheit. Trotzdem wird sie am 10. Juni 1944 gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Tochter verhaftet. Die Tochter Wilfriede kommt zunächst in ein Kinderheim, später wird sie von einer befreundeten Familie in Grabenstetten aufgenommen und letztendlich von Onkel Friedrich aufgezogen. Gertrud Lutz und ihre Eltern hingegen werden monatelang gefoltert und verhört bevor sie am 30. November 1944 ins KZ Dachau transportiert und ohne Gerichtsverhandlung ermordet werden. Die Geschichte der Familie Schlotterbeck und auch der Widerstandskämpferin Gertrud Lutz ist bis heute unvergessen.

1949 wurde ein Ehrengrab auf dem Friedhof Untertürkheim für die Familie Schlotterbeck errichtet, in Leipzig 1950 eine Straße nach Gertrud Lutz benannt, zudem hieß das Kinderheim der DDR in Freist bei Eisleben nach ihr und 2009 wurde ein Stolperstein für sie vor dem Haus Auf dem Haigst 6 in Degerloch verlegt. „Es ist ein wichtiges Stück Stuttgarter Geschichte“, weiß Autor Michael Horlacher. Deshalb hat er sich in seinem neuen Buch mit seinem Kollegen Günter Randecker der Lebensgeschichte von Gertrud Lutz gewidmet. Hunderte von Schriftstücken und Briefen haben sie aus Familienbesitz gesichtet und mit Tochter Wilfriede, die heute in Berlin lebt, gesprochen. „Es sind teilweise sehr detailierte und persönliche Erinnerungen“, weiß Horlacher, „eine solche Geschichte darf nicht in Vergessenheit geraten“.

Am Sonntag, 19. September 2010, werden die Autoren Michael Horlacher und Günter Randecker um 12 Uhr bei einer Matinee im Waldheim Gaisburg ihr neues Buch über Gertrud Lutz vorstellen und an sie erinnern.

Günter Randecker, Michael Horlacher (Hg.): »Mein Gott, Grabenstetten ist mir doch wie ein kleines Paradies in Erinnerung« - »100 Jahre Gertrud Lutz, geb. Schlotterbeck«, Briefe, Dokumente, Bilder, Stuttgart 2010

Buchbestellung für 25 EUR über Michael Horlacher - agencyteam Stuttgart GmbH : Tel. 0711 239 52 -111 - email: GertrudL@gmx.de

„So ein Erbe ist auch eine Last“

Montagsgespräch: Tochter einer Widerstandskämpferin erzählt

Stuttgarter Nachrichten vom 11.10.2010

Wilfriede Hess war keine zwei Jahre alt, als sie von ihrer Mutter getrennt wurde, der von den Nazis ermordeten Stuttgarter Widerstandskämpferin Gertrud Lutz. Im Gespräch erzählt sie von ihrer Jugend in der DDR und warum sie dort nicht als Nazi-Opfer hofiert wurde.

Von Tom Hörner

Wilfriede HessZur Person - Wilfriede Hess

  • 1942 in Stuttgart geboren. Wurde mit knapp zwei Jahren von ihrer Mutter, der Widerstandskämpferin Gertrud Lutz, geborene Schlotterbeck, getrennt.
  • Lebte bis Kriegsende bei einer Bauersfamilie auf der Schwäbischen Alb. Wurde dann von ihrem Onkel Frieder Schlotterbeck, den sie Vater nannte, in die Schweiz geholt. In den 50er Jahren Übersiedlung in die DDR.
  • Wilfriede Hess hat gemeinsam mit ihrem Mann vier inzwischen erwachsene Kinder. Sie lebt in Berlin.

Frau Hess, wann haben Sie erfahren, dass Ihre Mutter Gertrud Lutz von den Nazis umgebracht worden war?

Ich muss schon in Grabenstätten gewusst haben, dass meine Mutter nicht wiederkommt. Dort war ich bei Bauersleuten untergebracht, der Familie Keller. 1946 kam dann mein Onkel Frieder aus der Schweiz, um mich mitzunehmen. Wann ich genau vom Schicksal meiner Mutter erfahren habe, das weiß ich nicht mehr.

Wie hatte es Sie nach Grabenstetten auf die Schwäbische Alb verschlagen?

Ich kam erstmals zu den Kellers, als wir wegen der Bombenangriffe auf Stuttgart evakuiert wurden. Als meine Mutter 1944 von den Nazis verhaftet wurde, bin ich in ein Kinderheim nach Waiblingen gebrachtworden. Dort hat mich dann das Klärle besucht, die Tochter des Bauern. Eine der Frauen in dem Heim hat dem Klärle zugeflüstert: „Nehmen Sie das Kind mit.“ Sonst wäre ich dort wohl verhungert oder verdurstet.

TudeZum 100. Geburtstag Ihrer Mutter werden nun Briefe veröffentlicht, die sie in Gefängnissen und im KZ geschrieben hatte. Kannten Sie die Briefe?

Ja, zum Teil. Die Briefe befinden sich ja in meinem Besitz. Ich muss aber zugeben, dass es mir immer noch schwerfällt, sie zu lesen. Das ist meine Art, damit umzugehen. Ich versuche, die Dinge zu verdrängen.

Ihre Mutter hat in Untertürkheim in Luginsland und in Degerloch Auf dem Haigst gelebt. Waren Sie schon mal dort?

Waren Sie schon mal dort? Ja, in Luginsland in der Annastraße schon öfter. Auf dem Haigst imvergangenen Jahr. Da durfte ich sogar in die Wohnung rein, in der meine Mutter gelebt hat. Auch das hat Überwindung gekostet.

Man bekommt den Eindruck, dass es eine schwere Erblast ist, als Tochter einer ermordeten Widerstandskämpferin geboren zu sein.

So ein Erbe ist schon auch eine Last. Es mag Menschen geben, die so etwas aufarbeiten, indem sie sich damit beschäftigen. Mir ist das nie gelungen.

Ist auch Ihr Vorname Wilfriede eine Erblast?

In gewissem Sinn schon. Es gehörte Courage dazu, ein Kind in Kriegszeiten Wilfriede zu taufen. Aber belastet hat der Name mich insofern nicht, da ich immer Billy gerufen wurde. Das fing in Potsdam an, im Englischunterricht. Zuerst nannten mich alle Willy, als Kurzform von Wilfriede. Irgendjemand hat daraus Billy gemacht. In Ihrem letzten Brief sorgt sich Ihre Mutter weniger um ihr eigenes Wohl als um das Ihre. Sie hatten Keuchhusten. Vermutlich hat sie sich mehr mit ihrem kranken Kind beschäftigt, weil sie nicht damit gerechnet hat, dass sie wenige Tage später hingerichtet werden sollte.

Viele Briefe handeln von Alltagsproblemen. Sie klingen fast optimistisch.

Meine Mutter war in den beiden letzten Jahren vor ihrem Tod nicht mehr politisch aktiv. Sie hatte sich in der Hauptsache um mich gekümmert. Schon deshalb hat sie nicht damit gerechnet, dass es so schlimm kommt. Aber nicht nur meine Mutter, auch ihre Eltern, ihr Bruder Hermann und Freunde wurden umgebracht, darunter Menschen, die nie etwas mit Politik zu tun hatten. Sie wurden aus Rache ermordet, weil meinem Onkel Frieder Schlotterbeck die Flucht in die Schweiz geglückt war.

Sie hatten das Glück der späten Geburt.

Ja, als der NSDAP-Ortsgruppenleiter von Grabenstetter vom Tod meiner Mutter erfuhr, soll er gesagt haben: „Das geschieht ihr recht! Sie hat es verdient, und es ist nur schade, dass ihr Kind nicht älter ist!“

Haben Sie heute noch Kontakt zu Ihrer Pflegefamilie auf der Alb?

Den hatte ich immer, auch zu DDR-Zeiten. Ich durfte alle fünf Jahre nach Stuttgart fahren, immer, wenn ich zu einer Gedenkfeier eingeladen war. Das erste Mal, es war wohl 1964, hat jemand für mich gebürgt, den ich nicht mal gekannt habe. Ich habe immer erst kurz vorher erfahren, dass es mit der Ausreise klappt. Da bin ich dann jedes Mal auch zum Klärle auf die Alb.

Das heißt, Sie hatten Privilegien?

Ob das Privilegien waren? Wahrscheinlich konnte man schlecht Nein sagen, wenn ich zur Gedenkfeier eingeladen war. Einmal musste ich mir Geld borgen, weil die Fahrkarte nur noch in Westgeld bezahlt werden konnte. Wenn ich im Zug nach Stuttgart saß, fuhr stets die Angst mit, dass etwas schiefläuft und mich niemand am Bahnhof abholt. Ich hätte nicht mal Geld für eine Straßenbahnkarte gehabt. Aber viele DDRBürger haben mich für die Reise bewundert. Insofern war es schon ein Privileg.

Ein Privileg, das Sie auch belastet hat?

Die Reisen waren eine zweischneidige Sache. Eine Gedenkfeier hat etwas Bedrückendes. Deshalb gehe ich nicht gern auf Friedhöfe. Anderseits habe ich mich gefreut, dass ich das Klärle und Freunde wiedersehen konnte. Stuttgart war für mich immer etwas Besonderes. Wenn der Zug in die Gegend kam, wurde mir ganz mulmig. Als ich das erste Mal mit Onkel Frieder in Degerloch war, wurde ich wehmütig. Ich stand vor dem Haus, in dem ich die ersten Lebensjahre verbracht hatte. Alles kam mir seltsam bekannt vor, obwohl ich nicht mal zwei war, als ich das letzte Mal hier war.Die Reisen waren eine zweischneidige Sache. Eine Gedenkfeier hat etwas Bedrückendes. Deshalb gehe ich nicht gern auf Friedhöfe. Anderseits habe ich mich gefreut, dass ich das Klärle und Freunde wiedersehen konnte. Stuttgart war für mich immer etwas Besonderes. Wenn der Zug in die Gegend kam, wurde mir ganz mulmig. Als ich das erste Mal mit Onkel Frieder in Degerloch war, wurde ich wehmütig. Ich stand vor dem Haus, in dem ich die ersten Lebensjahre verbracht hatte. Alles kam mir seltsam bekannt vor, obwohl ich nicht mal zwei war, als ich das letzte Mal hier war.

Sind Sie in der DDR nicht als Opfer des Faschismus hofiert worden?

Überhaupt nicht. Das hing damit zusammen, dass mein Onkel Frieder und seine Frau 1953 in der DDR wegen angeblicher Spionage verurteilt wurden. Später sind sie rehabilitiert worden. Mich hat man in ein Kinderheim gesteckt.

In der DDR gab es ein Kinderheim, das auf den Namen Ihrer Mutter getauft war.

Das mag schon sein. Für mein Leben in der DDR hat das keine Rolle gespielt.

Sie haben in der DDR Iranistik studiert. Wie kamen Sie auf dieses Exotenfach?

Das war eine Möglichkeit, sein Fernweh auszuleben. Man hat sich mit einem Land beschäftigt, in das man nie reisen konnte. Gearbeitet habe ich in der Richtung nicht. Ich war nach meinem Studium ein Jahr Redaktionsassistentin beim Fernsehen. Dann habe ich geheiratet und mich um meine Familie gekümmert.

Auch wenn der Umgang mit der Vergangenheit schwerfällt. Sind Sie froh, dass nun die Briefe Ihrer Mutter veröffentlicht werden?

Wie hätte ich etwas dagegenhaben können? Ich finde es gut, dass der Herr Randecker und der Herr Horlacher sich die Mühe gemacht haben. Ich selbst hätte es nicht gekonnt. Mir hätte die Kraft dazu gefehlt.

Im Dezember 2010 ist der Band „100 Jahre Gertrud Lutz“, herausgeben von Günter Randecker und Michael Horlacher eschienen. Das Buch (136 Seiten) kostet 25 Euro und kann unter
GertrudL@gmx.de bestellt werden.

Else Himmelheber (30. Januar 1905 - 27. November 1944)

Else Himmelheber

Auszug aus http://www.stolpersteine-stuttgart.de/index.php?docid=8

Widerstandskämpferin Opfer Mahnerin

Else Himmelheber wurde 1905 in Ostheim geboren, 1911 zog sie nach Heslach in die Adlerstraße 24. Das Quartier war schlicht, mit einem lauten Gewerbebetrieb im Haus und zwei Zimmern für die sechsköpfige Familie Himmelheber – damals normaler Standart für Arbeiter. Auch die soziale und politische Umgebung prägte Else Himmelheber früh. Das rote Heslach votierte bei der Reichstagswahl 1912 zu 74% für die SPD. Dann bremste der erste Weltkrieg die Arbeiterbewegung.

HIMMELHEBERDer Familienvater Philipp Himmelheber wurde eingezogen und überlebte zwar den Krieg, starb aber auf dem Rückmarsch von der Westfront an Lungenentzündung. Die Mutter musste ihre vier Kinder mit Nähen durchbringen. Bei Kriegsende schloss sich Else, gerade 13 Jahre alt, der kommunistischen Jugendorganisation an. Dann riskierte sie den ersten großen Konflikt: sie verweigerte die Konfirmation. Dem vereinten Druck von Pfarrer und Mutter gab sie zwar am Ende nach, aber ihr Eintrag auf der Liste von 64 Konfirmandinnen der Matthäusgemeinde im Jahre 1918 sagt alles – es ist der letzte. Trotz ihrer minimalen Schulbildung von sieben Jahren Volksschule arbeitete sich Else Himmelheber zur Kontoristin hoch. Beim Reichsparteitag der KPD im Jahre 1925 hielt sie ein Referat über die Frauenarbeit, 1931 zog sie nach Berlin, wo sie wahrscheinlich bei der Reichsleitung der KPD für die Frauenarbeit angestellt war und Artikel in Parteizeitungen schrieb. Nach der Machtergreifung der Nazis wurde sie sofort verhaftet und ins KZ Morungen eingeliefert. 1938 wurde sie entlassen, von Heinrich Himmler persönlich. Alle Jahre wieder erschien der SS-Führer in Morungen und entschied scheinbar willkürlich, welchen Häftlingen er die Freiheit schenkte. Ein Kriterium allerdings traf auf alle Amnestierten zu: Himmler begnadigte nur Blondinen. Als Reaktion darauf färbte sich Else Himmelheber nach ihrer Freilassung die Haare schwarz, denn sie wollte nicht dem Rasse-Ideal der Nazis entsprechen.

Sie kehrte in die elterliche Wohnung nach Stuttgart zurück. 1943 traf sie Friedrich Schlotterbeck wieder, den sie aus der kommunistischen Jugendarbeit kannte und der zehn Jahre im KZ Welzheim inhaftiert gewesen war. Im Mai 1944 wollten Else Himmelheber und Friedrich Schlotterbeck heiraten, doch eine Woche vor dem geplanten Termin mussten sie vor der Gestapo fliehen. Auf getrennten Wegen versuchten sie, in die Schweiz zu entkommen. Friedrich Schlotterbeck gelang die Flucht, Else Himmelheber wurde im Zug verhaftet. In der Stuttgarter Gestapozentrale wurde sie monatelang verhört und vermutlich auch gefoltert, ohne dass sie Angaben über ihre Verbindungen und ihre Untergrundtätigkeit machte. Am 27. November 1944 wurden Else Himmelheber, die Eltern ihres Verlobten und dessen Schwester von Stuttgart nach Dachau transportiert. Am 30. November wurden sie dort erschossen.

Siegfried Bassler

Ein Stolperstein für Emil Gärttner

Artikel in der Stuttgarter Zeitung vom 13.05.2009:

GärttnerDer Mechaniker Emil Gärttner

Emil Gärttner, geboren im Jahr 1896, war Mechaniker und wurde im Zusammenhang mit der Widerstandsgruppe um die Untertürkheimer Familie Schlotterbeck im Juni 1944 verhaftet.

Am 30.November 1944 wurde er im KZ Dachau zusammen mit acht anderen der Gruppe "wegen Vorbereitung zum Hochverrat" hingerichtet (Mitteilung der Gestapo Stuttgart an das Standesamt Stuttgart). 1946 wurde die Straße, die beim Haus 601 in die Augsburgerstraße mündet, nach Emil Gärttner benannt.

Am 19. Mai 2009 verlegt Gunter Demnig einen Gedenkstein für Emil Gärttner, geboren 1896 und als Mechaniker bei Kodak tätig, der im Zusammenhang mit der Widerstandsgruppe um die Untertürkheimer Familie Schlotterbeck verhaftet und mit dieser im November 1944 im KZ Dachau "wegen Vorbereitung zum Hochverrat" hingerichtet wurde.

Anlässlich der Stolperstein-Verlegung findet vor dem Haus Augsburger Straße 601 ab 8.30 Uhr eine Gedenkveranstaltung für Emil Gärttner statt, in dessen Gedenken 1946 in Obertürkheim eine Straße benannt wurde.

Bislang wurden über 11.000 Stolpersteine verlegt - davon 400 alleine in Stuttgart.

Stuttgarter Zeitung, 09.05.2007

Die Namen dürfen nicht untergehen - Kunst gegen das Vergessen

Knapp 250 Stolpersteine gibt es in Stuttgart. Gestern, am Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, sind 23 Steine hinzugekommen. Der Künstler Gunter Demning hat mittlerweile 11 000 Stolpersteine verlegt.

Von Katharina Schönwitz

Für Hank Kandler war der Herdweg 45 nicht irgendeine Adresse, sondern sein Elternhaus. Zumindest bis zum 19. Januar 1939. An dem Tag musste der Neunjährige mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder in einen Zug nach England steigen, um vor den Nazis in Sicherheit gebracht zu werden. Damals wussten die beiden gar nicht so genau, was es bedeutet, jüdisch zu sein. Ihre Eltern und Großeltern blieben zunächst in Stuttgart. Erst 1944 konnten sich die beiden Buben und ihre Eltern in den USA wieder in die Arme schließen. Die Großmutter war 1940 gestorben. Der Großvater wurde 1942 in Theresienstadt ermordet. Ihm wurde bereits im vergangenen Jahr ein Stolperstein gesetzt.

Gestern, also mehr als 68 Jahre später, war Hank Kandler wieder in der vornehmen Maisonettewohnung im Herdweg zu Gast. Eigentlich lebt der Psychiater in New York, wo er immer noch an der Einstein School of Medicine als Professor lehrt. Er war extra aus den USA angereist, um dabei zu sein, wie für seine beiden anderen Großeltern, Martin und Lolo Loeb, zwei Stolpersteine verlegt wurden. Sie waren ebenfalls in einer Gaskammer ermordet worden. In seinem ehemaligen Elternhaus trafen sich mittags die verschiedenen Stolperstein-Initiativen, Bürgermeisterin Gabriele Müller-Trimbusch und Gunter Demning, der Erfinder und ausführende Künstler der Stolpersteine.

Der 8. Mai wurde gewählt, weil er als Tag der Befreiung der Deutschen vom Nationalsozialismus gilt. "Heute Morgen sind bereits elf neue Stolpersteine in Stuttgart hinzugekommen", berichtete Werner Schmidt von der Stolperstein-Initiative Stuttgart-Süd. "Und zwölf weitere werden heute Nachmittag noch folgen." Insgesamt gibt es in Stuttgart 250 Stolpersteine. Immer wieder entstehen neue Initiativen, in Sillenbuch ist gerade wieder eine gegründet worden. "Oft ist die Suche nach den Ermordeten in den Archiven keine leichte Aufgabe", berichtete Schmidt. "Und meistens bleiben nach der Spurensuche auch Spuren bei einem selbst zurück." Deswegen danke er besonders Roland Müller, dem Leiter des Stadtarchivs.

Seit 1993 hat Gunter Demnig mehr als 11 000 Stolpersteine in Deutschland, Österreich und Ungarn verlegt. "Nur in München, Paris und Polen sagt man Nein zu den Stolpersteinen", erklärte der Kölner Künstler. Für ihn gilt ein Zitat aus dem Talmud: "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist." Und genau das sollen die Stolpersteine verhindern.

Stuttgarter Zeitung, 09.05.2007, S. 23

Widerstandskämpferin Sofie Klenk
"Ein Paukenschlag ist wie Nachdenken"

Achtklässler aus Luginsland gestalten eine Gedenkfeier für die Widerstandskämpferin Sofie Klenk

Was haben 14- und 15-jährige Hauptschüler mit einem Naziopfer zu tun, das vor 63 Jahren in Dachau vergast wurde? Einiges, wie sich bei der Verlegung eines Stolpersteins für die Widerstandskämpferin Sofie Klenk zeigte. Auch sie war in Luginsland zu Hause.

Von Inge Jacobs

Die Manfredstraße ist ein kleines Wohnsträßchen in Luginsland. Vor der Hausnummer 17 steht eine Menschentraube. Nicht nur Ältere haben sich gestern Nachmittag hier eingefunden. Auch eine achte Klasse der Luginslandschule ist da, mit Trommeln im Gepäck und vielen kleinen gelben Täfelchen. Darauf steht wie auch auf dem glänzenden Stolperstein, den der Künstler Gunter Demnig vor dem Haus eingelassen hat: "Hier wohnte Sofie Klenk, Jahrgang 1904, Gestapohaft 27.11.1944, KZ Dachau ermordet 30.11.1944." Mehr nicht.

Manfredstraße 17Sofie Klenk
Stuttgart-Luginsland - Manfredstraße 17 - Stolperstein für Sofie Klenk - Fotos: Enslin

Die Schüler haben Angst vor ihrem Auftritt. "Angst davor, dass jemand lacht und dass uns dann alles versaut wird", sagt Tugba. Aber niemand lacht. Es gibt auch keinen Anlass dafür. Die Achtklässler machen ihre Sache gut. Nach dem Blechbläserquartett und einführenden Worten der Initiative Stolperstein sind sie dran. Ein Schüler beginnt zu trommeln, dann kommt ein zweiter, dritter hinzu. Nur diese Trommeln. Mit fester Stimme trägt Tugba vor, was sie gemeinsam vorbereitet haben: dass Sofie Klenk am 12. Mai 1904 in Cannstatt geboren wurde, in der Manfredstraße 17 gewohnt hat und mit 40 Jahren in Dachau wegen Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet wurde, mit Freunden und Nachbarn.

Sopie KlenkDie Schüler können sich schwer vorstellen, dass es eine Zeit gab, in der Menschen wie Sofie Klenk ermordet wurden, nur weil sie manchmal mit ihren Nachbarn, den Schlotterbecks, Auslandssender gehört hatte und anderen Menschen helfen wollte. Aber sie haben begriffen, dass die Angst damals sehr groß gewesen sein musste, wenn sogar Sofies Ehemann Karl aus Furcht vor der Gestapo darauf verzichtete, seine Frau aus dem Arbeitslager in Rudersberg zu befreien.

"Sofie Klenk war mutig", trägt Anna vor. "Wir verneigen uns", sagt Ajdin. "In Sofie Klenks Haut hätten wir nicht stecken wollen", sagt Sebastian. "So etwas darf nie mehr passieren", so Sarah. "Wir wollen keinen Krieg", ruft Andreas. "Wenn wir morgens aufwachen, müssen wir keine Angst haben", sagt Abed. "Niemand hat das Recht, zu töten oder über das Leben anderer Menschen zu bestimmen", sagt Albert. "Wir verneigen uns", wiederholt Ajdin. Und dann setzen wieder die Trommeln ein. Unerbittlich. Danach der Applaus - für die Schüler.

Wären sie damals auch so mutig gewesen? "Allein vielleicht nicht, aber vielleicht mit anderen zusammen", meint Sebastian. Die Idee mit den Trommeln hatten die Schüler selbst. "So ein Paukenschlag, das ist wie ein Nachdenken", sagt Sebastian. "Und der Satz ,Wir verneigen uns' ist ja der Sinn der Sache - das tut man ja automatisch, wenn man auf den Stolperstein runterguckt." Ihre Lehrerin Ulrike Holoch-Karpf ist glücklich über den Auftritt: "Für mich war das wie ein Geschenk." Und ihre Achtklässler planen jetzt eine Fahrt nach Auschwitz.

Mit Trommeln und gelben Täfelchen haben Schüler aus Luginsland in der Manfredstraße das Verlegen eines Stolpersteins begleitet.

Christiane Marie Haug (1883-1940)

Christiane Marie Haug
wurde am 12. August 1940
in Grafeneck ermordet

Sie lebte als „Weingärtners-Ehefrau“
mit ihrer Familie in Untertürkheim

Ihr zum Gedenken und zur Erinnerung
an eine grausame Zeit, wollen wir
am 8. Oktober 2010, um 14.15 Uhr
in Untertürkheim vor dem Haus
Schlotterbeckstraße 4
einen Gedenkstein setzen

Sie sind dazu herzlich eingeladen

Aktion Stolpersteine
Obere Neckarvororte
Gunter Demnigs Stolperstein-Projekt

Stolperstein
Christiane Marie Haug
Mehr Infos dazu >hier<

Gestapo-Agent als Lockvogel

Artikel aus den STUTTGARTER NACHRICHTEN vom 08.10.2008
Stolpersteine erinnern an Emmy und Theo Seitz
 

Emmy Seitz Emmy Seitz und acht weitere Stuttgarter aus dem Arbeitermilieu wurden nach einer Denunziation am 30. November 1944 im KZ Dachau wegen Vorbereitung zum Hochverrat hingerichtet. Ihr Mann Theo Seitz, der zu dieser Zeit an der Front in Russland stand, wurde am 6. Februar 1945 im Zuchthaus Halle enthauptet. Jetzt erinnern in der Wartbergstraße 14, dem letzten Wohnsitz des Ehepaars, zwei Stolpersteine an Emmy und Theo Seitz.

Seit 1997 verlegt der Kölner Künstler Gunter Demnig zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus sogenannte Stolpersteine. Auf den Gehsteigen vor den Wohnhäusern der Ermordeten lässt er kleine Pflastersteine ein mit einer Messingplatte und den biografischen Daten dieser Opfer. Mit der Unterstützung lokaler Arbeitsgruppen sind inzwischen über 12 000 solcher Steine eingelassen worden. In Stuttgart sind es mittlerweile knapp 400. Die meisten von ihnen erinnern an verschleppte und ermordete Juden.

Zwar werden die kleinen Gedenksteine bündig mit dem Gehsteig verlegt, dennoch lassen sie manche Menschen auch heute noch stolpern. So hatte in der Wartbergstraße 14 ein Anwohner bis zum letzten Moment versucht, die Verlegung der Pflastersteine zu verhindern. Nachdem er mit diesem Ansinnen beim Tiefbauamt gescheitert war, kündigte er an, die Stelle für die Verlegung mit seinem geparkten Auto zu blockieren. Den Drohungen ließ der Anwohner aber keine Taten folgen.

Die Stolpersteine in der Wartbergstraße erinnern an politisch Verfolgte und an das Schicksal einer Widerstandsgruppe aus der Arbeiterbewegung, die sich während der Nazizeit um die Antifaschistenfamilie Schlotterbeck aus Untertürkheim scharte.

Emmy Seitz, geborene Ramin, kam 1904 in Wiesbaden zur Welt. Bis 1933 war sie in der Stuttgarter Redaktion der "Süddeutschen Arbeiter-Zeitung" als Referentin für Frauenfragen beschäftigt. Später wurde sie mehrmals inhaftiert. Im August 1942 heiratete Emmy den Kraftfahrer Theo Seitz, der 1912 in Stuttgart geboren war. Beide hatten sich in der kommunistischen Jugendbewegung kennengelernt.

Theodor SeitzNach der Hochzeit bezog das Paar eine Wohnung in der Wartbergstraße 14. Theo Seitz wurde eingezogen und kam an die Front in Russland. Während seines Fronturlaubs im Februar 1944 meldete sich bei der Familie Seitz Eugen Nesper, ein gemeinsamer Bekannter aus der Zeit der politischen Arbeit vor 1933. Er berichtete, dass er von einem englischen Flugzeug mit dem Fallschirm abgesetzt worden sei, um Kontakte zu deutschen Widerständlern zu knüpfen.

Mit dieser Geschichte hatte er schon die Familie Schlotterbeck, bei der er früher Untermieter war, besucht. Obwohl man Nesper von Anfang an misstraute, ahnte keiner der Beteiligten, dass dieser seit 1934 ein Agent der Gestapo war.

Der Verräter wurde neun Menschen zum Verhängnis. Alle Personen, die mit dem Agenten Nesper Kontakt gehabt und ihn nicht gemeldet hatten, wurden verhaftet, wegen Hochverrats angeklagt und hingerichtet. Klaus Eichmüller

Stuttgarter Nachrichten, 08.05.2007

Buch zum Kunstprojekt - Stuttgarter Stolpersteine und ihr Hintergrund

"Ein Kunstprojekt füllt Gedächtnislücken" lautet der Untertitel eines Buchs, in dem erstmals die Arbeit der elf Stuttgarter Stolperstein-Initiativen dargestellt wird.

VON BARBARA CZIMMER-GAUSS

Stolperstein-Initiativen, die Anstifter, sie alle tragen zu dem bürgerschaftlichen Projekt "Stuttgarter Stolpersteine", so auch der Buchtitel, gegen das Vergessen bei. Unter ihnen beispielsweise der Künstler Gunter Demnig, der berichtet, wie die Stolpersteine nach Stuttgart kamen. Viele Autoren haben ihren Teil zum Buch beigetragen, ein ausführlicher Anhang dient als Wegweiser zu den in Stuttgart verlegten Steinen und zeichnet Recherchepfade nach.

Bis 1933 lebten in Stuttgart Juden und Christen friedlich zusammen. Zwischen 1941 und 1943 wurden mehr als 2000 Stuttgarter in drei Sammellagern auf dem Killesberg zusammengepfercht und vom Nordbahnhof aus in Vernichtungslager verschleppt. Heute erinnern Stolpersteine, Messingtafeln im Bürgersteig, an das Leben jener Opfer, deren Lebensläufe und Daten dokumentiert werden konnten.

Das im Markstein-Verlag veröffentlichte Buch zeichnet 31 Schicksale nach, berichtet über die vier Geschwister Kurz, die als Sinti-Kinder aus der Fürsorge in die Vernichtung geführt wurden, an den Widerstandskämpfer Jakob Kraus, an das jüdische Ehepaar Martha und Julius Baer und viele andere. Es ist keine leichte Lektüre, aber eine wichtige: Sie mahnt Erinnerung an, um eine Wiederholung auszuschließen.

Heute verlegt Gunter Demnig in sieben Stadtteilen 23 weitere Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Um 12 Uhr findet ein Empfang mit Bürgermeisterin Gabriele Müller-Trimbusch im Herdweg 45 statt.
Buchbestellungen an Peter-Grohmann@Die-Anstifter.de

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