Von 1922 über »die heulende
Rakete von Pinneberg« bis zur Firmenschließung 1968
Die schwäbische Motorradfabrik UT wurde von Herrmann Scheihing
1922 in Untertürkheim bei Stuttgart gegründet. Doch die wirtschaftlich
schlechte Lage Mitte der 1920er Jahre zwangen ihn 1925, sein Unternehmen
an die Maschinenfabrik Bergmüller & Co zu veräußern.
Diese verkauften die als Zweigbetrieb geführte Motorradfertigung
1930 an zwei Mitarbeiter, Hugo Schwenk und Johann Schnürle, die
1935 in eine leerstehende Weberei in Stuttgart-Möhringen übersiedelten.
Hugo Schwenk und Johann Schnürle entschieden sich
nach Kriegsende, die Zweiradproduktion erneut aufzunehmen. Schließlich
waren sie damit ja aufgewachsen, und auf Tradition hielten die Schwaben
schon immer. Acht Beschäftigte bauten Ende der vierziger Jahre
wieder UT-Modelle zusammen, die allesamt mehr oder weniger auf Vorkriegskonstruktionen
mit geschlossenem Doppelrohrrahmen mit Blechpreß- Oberrohr und
angeschraubtem Rahmenheck basierten.
Firmenchef Hugo Schwenk belieferte die ersten
UT-Vertreter in der näheren Umgebung noch persönlich nach
Feierabend: Eine UT hinten im großen Wanderer-Auto, zwei weitere
auf einem Anhänger.
UT war um technischen Fortschritt bemüht, denn
langfristig war auch bei leichten Motorrädern mit der zwar kostengünstig
herzustellenden, aber wartungsaufwendigen und wenig seitensteifen Trapezgabel
kein Staat mehr zu machen. Doch die Entwicklung einer Teleskopgabel
hätte Schwenk und Schnürle viel Geld gekostet, und so zögerten
die sparsamen Schwaben zunächst – bis sich 1949 eines Tages
die Bürotür öffnete.
Herein kam Jan Friedrich Drkosch, damals Mitarbeiter
der Zeitschrift »Das Motorrad«. Und der wollte eigentlich
nichts weiter als ein Werksbild der UT K 125 abholen. Drkosch erinnerte
sich an die Firmeninhaber: »Schwenk groß und stark von Statur
– der Regent. Schnürle, bescheiden in allem, die Seele in
Betrieb und Lager. Beide mit Schiffermützen und blauem Arbeitsanzug.«
Als der Besucher das gewünschte Bild erhielt und darauf die Trapezgabel
der K 125 sah, meinte Drkosch ohne besondere Absicht: »Herr Schenk,
Sie brauchen eine Teleskopgabel.« Und auf die barsche Frage, ob
er denn eine habe, folgte ein schlichtes Ja, auf dem Papier«.
Dem neugierig gewordenen Schwenk lieferte Drkosch dann
weitere Informationen: »Alle maßgeblichen Teleskopgabel-Bauformen
der englischen Hersteller sind mir in- und auswendig bekannt. Alle haben
geschliffene Standrohre aus Chromnickelstahl. Der Zwang zu kostensparender
Bauweise brachte mich auf ein gegenläufiges System: Standrohre
im unteren Teil mit kleinerem Durchmesser als darüber (Up-Side-
Down- Gabel heißt das Teil heute), durchaus günstig für
den tatsächlichen Kräfteverlauf; beide Führungsbuchsen
auf dem kleineren Durchmesser des Standrohres mit variablem Buchsenabstand.
Bei dieser Konstruktion müssen die Standrohre nicht geschliffen
werden.« Drkoschs Konstruktion wurde sofort akzeptiert.
Ab Modelljahr 1950 gab es dann die UT KTN 125 mit der
Teleskopgabel; sie kostete 960,– DM und war nur 40,– DM
teurer als die K 125. Mitte 1950 wurde auch eine Sportversion der KTN
angeboten, sie war mit zwei Vergasern bestückt und fast 90 km/h
schnell. Und weil Ilo noch einen 175- cm’-Motor produzierte, stand
bald eine KTN 175 im Programm. UT- Kunden konnten zwischen einem starren
Hinterbau und einer Geradwegfederung von Jurisch wählen, wozu nur
das Rahmenheck ausgetauscht werden musste. Das Motorfahrrad UT MJ 100
rundete die Modellpalette nach unten ab.
Eine 250er aber fehlte der schwäbischen Motorradfabrik
noch. Fünf große deutsche Konkurrenten hatten ein solches
Modell 1950 schon zu bieten, UT aber musste sich gedulden, bis Ilo seinen
250er Einzylinder-Zweitaktmotor entwickelt hatte. Doch die Pläne
für die Viertelliter-UT lagen schon Anfang 1950 in der Schublade,
gezeichnet von Jan Friedrich Drkosch.
Auf der ersten deutschen Motorradausstellung nach dem
Krieg, der Frankfurter IFMA 1951, hatte der UT-Prototyp Premiere. Und
er sollte hierzulande für den modernen Fahrgestellbau richtungsweisend
werden. Die TS 250 war das erste deutsche Motorrad mit Hinterradschwinge
und ölgedämpften Federbeinen. Hinten waren 12 cm Federweg
möglich, vorn an der Teleskopgabel 14 cm. Ausgeliefert wurden die
ersten UT TS 250 erst Anfang des Jahres 1952. Doch schon Monate zuvor
hatten Firmenprospekte versprochen: »Die neue UT – schöner
denn je«. Und neben der Abbildung der Maschine war eine Zeichnung
der UT-Fabrik zu sehen, ein imposantes Backsteingebäude mit einem
riesigen, qualmenden Schornstein. Da hatte der Werbegrafiker wohl nicht
nur leicht übertrieben.
Denn
die Kunden, die von UT-Firmenvertretern gerne ins Werk gebeten wurden,
um ihnen dort persönlich das Motorrad zu übergeben, fanden
Anfang der fünfziger Jahre Schweißerei und Lackiererei in
besseren Garagen untergebracht. Und im Erdgeschoß des Hauptgebäudes
entdeckten sie eine kleine Halle, wo unter Anleitung eines Meisters
acht Arbeiter Teile fertigten und daraus auf Werkbänken Fahrzeuge
montierten. Carl Hertweck, damals Chefredakteur von »Das Motorrad«,
sah die Fabrik mehr als die »alte Dampfschmiede vom Schwenk«.
Anfang 1952 endete die Zusammenarbeit zwischen UT und
Drkosch, der daraufhin bei Adler anheuerte. Mit Schwenk, so Drkosch,
habe er gerne gearbeitet. Schnürle allerdings habe ihn bis zuletzt
immer nur »Droschke« geheißen. »Kleine, aber
dynamische Motorradfabrik sucht Konstrukteur« stand daher Mitte
1952 in einer Stellenanzeige in »Das Motorrad«. Ernst Wüstenhagen,
extra auf dem eigenen Motorrad zur Vorstellung angereist, übernahm
ab dem 1. September 1952 die Aufgabe des technischen Leiters. Der junge
Mann sollte sich vor allem um den geplanten Produktionsausbau auf Basis
der TS 250-Konstruktion kümmern.
Die TS 250 wurde zwar schon in Kleinserie gebaut, doch
gab es noch genug Kinderkrankheiten zu kurieren. So schlug die Lagerung
der Hinterradschwinge in Bronzebuchsen schnell aus. Kugellager, damals
sicher nicht die preiswerteste Lösung, schufen Abhilfe. Die ursprünglich
von UT selbst gebauten Stoßdämpfer wurden gegen solche von
Stabilus oder die von Drkosch entwickelten und bei Suspa gefertigten
ausgetauscht.
Der Ilo-Motor der TS 252, Typ M2-125, wegen seiner
Geräuschentwicklung bei hohen Drehzahlen auch »die heulende
Rakete von Pinneberg« getauft, ermöglichte zwar flotte Fahrleistungen,
war aber nicht ganz ausgereift: zu schwache Kolbenbolzen, zu hohe Schwungmassen
und eine unpassende Getriebestufung. Aber das herausragende UT- Fahrgestell
machte vieles wett. Der Werbetext versprach: »Die Fahreigenschaften
unserer neuen TS- Modelle sind anerkannt so gut, das Fahrer, namentlich
aber die Sozia, sich nicht mehr auf normalen Maschinen zurechtfinden,
haben sie erst einmal die Weichheit unserer Federung genossen. Der Begriff
Schlaglöcher existiert eigentlich für diese Motorräder
nicht mehr.«
Die Werbesprüche stammten aus der Feder von Hugo
Schwenk. In den besten Jahren, 1953/1954, zählte UT rund 30 Angestellte
und war zwar einfach, aber nicht schlecht ausgerüstet. Im Gegensatz
zu anderen Motorradkonfektionären stellten Schwenk und Schnürle
viele Teile selbst her, und der Service war bekannt gut. So konnten
Besitzer von Vorkriegsmaschinen ihre UT zum Selbstkostenpreis überholen
oder neu lackieren lassen. Bevor ein Motorrad wieder ausgeliefert wurde,
musste die Landstraße zwischen Möhringen und Vaihingen als
Prüfstrecke für Einstellfahrten herhalten. Bei schlechtem
Wetter wurde nicht gefahren – und eben auch nicht ausgeliefert,
so wollte es der Chef.
Während Johann Schnürle, ein eher zurückhaltender
Typ, sich um die Produktion und Technik kümmerte, nahm sich Hugo
Schwenk der Kunden und Vertreter an. Es kam öfters vor, dass er
Kunden, die ihre UT abholen wollten, mit der schwäbisch-direkten
Frage begrüßte: »Kannsch Du überhaupt Modorrad
fahra?« Von Ernst Wüstenhagen stammt die Wiedergabe einer
Episode mit einem Vertreter der Stoßdämpfer-Firma Stabilus,
den Schwenk nicht kannte. Dieser Handelsmann betrat an einem Samstagvormittag
das Werksgelände, als Schwenk gerade – wie alle rechtschaffenen
Schwaben – mit einem Reisigbesen den Hof kehrte. Auf die Frage
des Vertreters nach einem Herrn Schwenk antwortete dieser: »I
han jetzt koi Zeit, sehet se doch. I muaß mein Hof fega«
und ließ ihn einfach stehen.
Für neue Ideen und Konstruktionen hatten Schwenk
und Schnürle immer ein offenes Ohr, auch als die Gebrüder
Küchen eine kleine und flexible Motorradfabrik suchten, die ihren
Viertaktmotor einbauen sollte. Und weil auch Verbindungen zur Schweizer
Motorradfabrik Motosacoche bestanden, die wieder ins Geschäft einsteigen
wollte, entstand ein Prototyp mit Küchen-Viertaktmotor und einem
von Ernst Wüstenhagen angepassten TS- Rahmen, der zu Motosacoche
geschickt wurde.
Im März 1953 stand diese Maschine mit Motosacoche-Markenzeichen
auf dem Tank beim Internationalen Auto- und Motorradsalon in Genf. Und
die Resonanz des Publikums sowie der Fachpresse war überwältigend.
Motosacoche und UT kamen miteinander ins Geschäft. UT sollte die
unlackierten Einzelteile des Fahrgestells in das Werk nach Genf liefern,
die Zulieferteile, die auch UT bezog, kamen ebenfalls direkt in die
Schweiz, wo Motosacoche nur noch Motoren aufzutreiben hatte.
Küchen war inzwischen auf seiner Suche nach einem
Serienhersteller für seinen Viertaktmotor bei Opti in Essen fündig
geworden. Das Unternehmen mit florierender Reißverschluß-Fertigung
erhoffte sich von der Motorenherstellung ein zweites Standbein. Der
Motorradmarkt schien dafür optimal geeignet.
Dieser Küchen-Motor von Opti war ein Zweizylinder-Viertakter
(Gleichläufer) mit 247 cm3 Hubraum, 14 PS bei 6.500 U/min stark
und besaß eine über Kette angetriebene, obenliegende Nockenwelle.
Die Kurbelwelle war nur zweimal gelagert. Probleme gab es bei dieser
Konstruktion mit der Kühlung, der Nockenwellen-Antriebskette und
den Pleuellagern, von einem alltagstauglichen Motor war diese Küchen-Konstruktion
weit entfernt. Und den Opti-Werken fehlten einfach die richtigen Leute
für die Weiterentwicklung.
Die Schwaben Schwenk und Schnürle beließen
es bei einem Exemplar für Versuchszwecke, obwohl der Serienanlauf
der Viertakt-UT für März 1954 angekündigt war. Auf der
IFMA im Oktober 1953 feierte der UT-Prototyp KV 250 (KV stand für
Küchen-Viertakt) zusammen mit der UT TS 175 F mit Fichtel R Sachs-Motor
Premiere.
Weil durch gute Verkäufe genügend Geld vorhanden
war, investierte UT in eine Wettbewerbsmannschaft für Zuverlässigkeitsfahrten.
1952 errangen UT-Fahrer 15, 1953 sogar 43 Goldmedaillen, dazu unzählige
Silber-, Bronze- und Mannschaftsmedaillen. Auch Ernst Wüstenhagen
nutzte manche Veranstaltung, um seine Konstruktionen zu erproben. Chef
Hugo Schwenk zahlte übrigens für jede Goldmedaille 100 Mark,
damals immerhin fast ein Drittel vom Monatsgehalt eines Arbeiters.
Ernst Wüstenhagen kündigte im Herbst 1954
in bestem Einvernehmen mit Firmenchef Schwenk, und nach seinem Abgang
kam nicht mehr viel Neues bei UT zum Vorschein. Im Gegenteil: Anstatt
die Teleskopgabel weiterzuentwickeln, die einst Jan Friedrich Drkosch
als freiberuflicher Konstrukteur für UT entworfen hatte, wurde
die Produktion auf geschobene Vorderradschwinggabeln umgestellt.
1955 lieferte UT die TS-Modelle mit Ausnahme der TS
250, die mittlerweile eingestellt worden war, wahlweise mit Teleskopgabel
oder Langschwinge vorn. Diese Schwinggabeln der VS-Typen (Vollschwinge)
sprachen zwar fein an, doch die Lagerung der Leichtmetall- Schwinghebel
in Silentblocks war allzu verschleißanfällig und führte
schnell zu einem UT- unwürdigen Fahrverhalten. 1956, als sich die
Flaute der Motorradindustrie verschärfte, stellte UT die Fertigung
der KT-Baureihe ein und brachte statt dessen die VS 100 und das Moped
UT Sport auf den Markt – letzteres ein Versuch, mit sportlich-italienischer
Linienführung junge Käufer zu finden. Bis auf den Rahmen wurden
alle Teile von Zulieferern bezogen, für Eigenentwicklung und -
fertigung hatte UT längst kein Geld mehr. Auch der Versuch, bei
UT eine Drehteilefertigung aufzubauen, scheiterte letztlich, und so
blieben nur noch die VS 100, TS 175 und die Zweizylinder TS 252.
Zum Schluß stand allein die UT 175 mit Fichtel
R Sachs-Motor im Verkaufsprogramm. 1961 starb Hugo Schwenk, und Johann
Schnürle produzierte, zusammen mit zwei Mitarbeitern, noch ein
weiteres Jahr, allerdings nur auf Bestellung. Ersatzteile konnten dagegen
noch bis 1968 bezogen werden.