Achim Wörner und Michael Steinert (Fotos) haben
einen Streifzug durch die Geschichte der Kakaoindustrie in der Landeshauptstadt
unternommen

Die Schwaben sind einst für Fleiß und
Schaffenskraft gerühmt worden, sie hatten aber auch
ein Faible für den puren Genuss - in Form von Schokolade
etwa. Eine Ausstellung des Stadtarchivs spannt den Bogen
vom süßen Aufstieg zur heimlichen Hauptstadt der
Kakaoindustrie Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum bitteren
Niedergang gut 100 Jahre danach.
Klack, klack, klack. Heinz Klaiber hält eine metallene Form in
Händen und lässt das mattsilbrige Teil auf ein dünnes
Holzbrett krachen. Klack, klack, klack. Auf diese Weise ruft der rüstige
Rentner sich die Erinnerungen wach. Hundertfach, tausendfach hallte
das klappernde Geräusch durch die Fabrikhalle, damals, in den
fünfziger, sechziger, siebziger Jahren. Es klingt dem gelernten
Bäckermeister nach wie vor im Ohr - mehr als zwei Dekaden nach
der unfreiwilligen Demission.
Heinz Klaiber sitzt am Esstisch seines Wohnhauses mitten in Fellbach-Schmiden.
Draußen scheint die Sonne. Und der 76-Jährige plaudert über
jene Zeit, als Stuttgart (noch) eine Hochburg der Schokoladen-Herstellung
war, sich dann aber rasch das Ende abzuzeichnen begann. Waldbaur,
Moser- Roth und Eszet, Ritter, Haller und Schoko-Buck - das
sind die Namen, die sich mit diesem bisher kaum beleuchteten Kapitel
der Stuttgarter Stadtgeschichte verbinden.
Klaiber hatte nach dem Zweiten Welkrieg bei Waldbaur angeheuert,
um in der so genannten Eintafelei Regie zu führen. Dort sei es
heiß und laut hergegangen, sagt der Mann im karierten, weit aufgeknöpften
Hemd. In der Eintafelei wurde die rund 30Grad heiße flüssige
Schokolade in Metallschalen gegossen und dann auf der laut tönenden
Klopfbahn in Tafelform gebracht. Klack, klack, klack. Klack, klack,
klack.
Waldbaur
war einer von einem ganzen Dutzend überregional renommierter
Kakaoverarbeiter, die in Stuttgart reüssierten. Seit 1848
war am Calwer Tor 7, der späteren Rotebühlstraße
83, Schokolade hergestellt worden, wie sich dem Adressbuch
von 1851 entnehmen lässt: Die Brüder Franz und Gustav
Waldbaur "haben eine Dampf-Chocolade-Fabrik nach der neuesten
Pariser Einrichtung, mittelst welcher die Chocolade auf das
Feinste durch Granitwalzen, ohne mit Eisen in Berührung
zu kommen, bereitet wird."

Der Kaufmann und der Apotheker waren aber beileibe nicht das einzige
Unternehmergespann, das auf die Schokolade setzen wollte. Schon Anfang
des 19. Jahrhunderts hatten vor allem die Konditoren der Stadt vollends
den Siegeszug der Köstlichkeiten aus Kakao eingeleitet, die sich
als "xcoatl" schon im 12.Jahrhundert bei den Azteken großer
Beliebtheit erfreut hatten.
Auch Eduard Otto Moser und Wilhelm Roth begannen als jeweils selbstständige
Zuckerbäcker, machten sich in Paris mit der Kunst der Trüffel-
und Pralinenherstellung vertraut - und setzten, wieder zu Hause, voll
auf die Schokoladenfabrikation. Moser war es auch, der 1876 den Verband
deutscher Schokoladenfabrikanten mit aus der Taufe hob, um ein Reinheitsgebot
für die süße Versuchung zu erlassen: Billige Mandeln,
Mehl und Fett sollten nicht länger den teuren Kakao ersetzen können.
Die Waldbaur-Brüder hatten sich dieser Initiative ebenfalls angeschlossen,
indem sie der werten Kundschaft "reellste Fabrikation" und "vorzügliche
Preise" versprachen. Waldbaur-Produkte wurden früh in ganz
Europa vertrieben, selbst in Amerika gab es Kunden. Vertretungen bestanden
in London und Moskau, die von "Chocoladen in Tafeln" über "Cacaomassen", "Cacaopulver
in feinster 1a-Qualität" bis hin zu "Chocoladen-Desserts
in allen Sorten, Caramell-Bonbons, Früchte-Compots in Gläsern
sowie gandirten und glacirten Früchten" allerlei mehrfach
preisgekrönte Gaumengenüsse feilboten.
Hergestellt wurde all das auf einem Fabrikgelände am Feuersee.
Dort, wo heute noch das Firmenwappen prangt und Büros residieren,
gab es einst alles, was zur Massenproduktion von Schokolade benötigt
wurde - vom kühlen Keller über das Zuckermagazin und das
Kesselhaus bis zur Verpackungsabteilung und den Remisen für die
Fuhrwerke, die wiederum die Auslieferung besorgten.
Ganz ähnlich vollzog sich der Aufstieg von Eszet.
Unter dem Motto "Das Beste und immer in gleicher Güte" hatte
der Konditormeister Ernst Staengel in der heutigen Furtbachstraße
eine kleine Fabrik für Konditorwaren eröffnet. Das
Gebäude war äußerlich einem Wohnhaus gleich,
gerade mal drei Etagen hoch - und doch wurde innen drin in
Serie Schokolade produziert. Zusammen mit seinem Schwager und
Kompagnon Ziller brachte es Staengel alsbald zum Hoflieferanten.
Die Firma Eszet expandierte, zog in die Olgastraße, schließlich
in die Augsburger Straße 275 nach
Untertürkheim. Bis zu 200 Mitarbeiter habe die Schokofirma
beschäftigt, so Gert Staengel, der Urenkel des einstigen
Firmengründers. Bei Moser und Roth an der Heilbronner
Straße sollen bis zu 550 Frauen und Männer zur Veredelung
von Kakaobohnen beitragen haben - mithin die größte
Kakao- und Schokoladenfabrik Süddeutschlands. Insgesamt
habe es zur Blütezeit in dieser Branche in Stuttgart mehr
als 1000 Arbeitsplätze gegeben, sagt der Historiker und
Stadtarchivar Manfred Schmid.
Die
Schokolade ward als Genussmittel gepriesen - aber sehr wohl auch als
Heil- und Stärkungsstoff. 1891 etwa hat die "Cacaochocolade,
Bonbons-Fabrik Moser-Roth" dem Katharinenhospital 12,5
Kilogramm Vanille-Schokolade in Rechnung gestellt, dazu sechs Beutel
Kakaopulver. Für die "gütigst bestellten und an Sie abgegangenen
Waaren beehren wir uns, Ihnen Factura 45,70 Mark mit der Bitte um Gutschrift
zu ertheilen".
Stuttgart habe ohne Zweifel zu den großen Schoko-Metropolen der
Republik gezählt, sagt der Historiker Schmid - und zwar zusammen
mit Berlin, Köln, Dresden. Viel übrig geblieben ist davon nicht.
Es gibt kaum mehr Dokumente, mit denen sich die Geschichte genau nachzeichnen
ließe. Schmid steht im Magazin des Stadtarchivs in der Tübinger
Straße und blättert die Fotografien, Stiche, Verpackungen
und Reklamepostkarten durch, die er für die Ausstellung gesammelt
hat; auf einem Tisch liegen ein paar Werbeaccessoires, darunter ein künstliches
Blumengebinde mit Schokoladentafeln dran. Und auch ein paar wenige
Devotionalien hat Schmid zusammengetragen - etwa ein Eszet-Kaffeeservice
oder eine Eszet-Wanduhr.
Warum ausgerechnet Stuttgart zu einer Schokoladen-Hauptstadt aufgestiegen
ist? Schwer zu sagen. Die Schaffenskraft der Konditoren, die Offenheit
der Schwaben für neue Produktionstechniken dürften eine Rolle
gespielt haben.
Immerhin: Auch die Firma Ritter, die heute in Waldenbuch
residiert, hatte ihre Anfänge in Stuttgart, genauer in Cannstatt.
Wie ein Lauffeuer habe sich verbreitet, dass in einem Hinterhof in der
Sodener Straße Süßes produziert werde, so ein Chronist.
Wie die Bremer Stadtmusikanten seien die Kinder an den Fenstern des Ritterschen
Ein-Mann-Betriebes gehangen - um die Schokoladenfertigung zu beobachten
und das eine oder andere "Versucherle" von Alfred Ritters
Kakaoerzeugnissen abzustauben.
Schon
in den zwanziger Jahren wurde in der Ostendstraße
88 Schokolade hergestellt, zuerst von Hugo Wernick, dann
von Schoko-Buck. Seit 1955 produzierte die deutsche
Tochter der Schweizer Weltmarke Tobler ihre Spezialitäten
- bis 1985.
Inzwischen ist von Stuttgarts Schokoladenseite nichts mehr übrig.
Gestiegene Kakaopreise und Überkapazitäten dank moderner Technik
sorgten in den 70er Jahren für die Bereinigung des Marktes.
Moser-Roth war im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört
worden; die Produktion wurde zu Karl Haller nach Obertürkheim verlagert,
nach dessen Tod ging die Firma an die Melitta-Gruppe, 1967 wurde die
Produktion eingestellt. Ende der 60er Jahre schloss Moser-Roth seine
Pforten; Eszet, 1973 noch auf Platz drei unter den
bekanntesten deutschen Schokoladenmarken, schloss Mitte der 70er Jahre; Waldbaur wurde
1977 stillgelegt. Beide Marken wurden von der Kölner Stollwerck
AG übernommen - weshalb Eszet-Schnitten und Katzenzungen noch
immer zu haben sind.
Das ist dem ehemaligen Schokoladen-Arbeiter Heinz Klaiber ein schwacher
Trost, ebenso die Betriebsrente, die Waldbaur überweist. Das Aus
für die Schokoladenfabrikation in Stuttgart - "das war schon
ein herber Schlag", sagt er und lässt die metallene Form für
die Schokoladentafel noch einmal aufs Holzbrett krachen. Klack, klack,
klack.